© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/08 08. August 2008

Kolumne
Mangelhafte Geschlossenheit
Klaus Motschmann

In einer Zeit schwerer innerer und äußerer Not, während der napoleonischen Besetzung Deutschlands, hat Ernst Moritz Arndt mit einem sehr einprägsamen Bild zur Besinnung auf verantwortliches politisches Handeln aufgerufen, das auch heute noch - beziehungsweise wieder - bedenkenswert ist. Er hat daran erinnert, daß Pferde bei Gefahr einen Kreis bilden, indem sie ihre Köpfe zusammenstecken und gemeinsam mit den Hinterhufen nach außen auf die Angreifer schlagen.

Manche unserer konservativen Gemeinschaften, Institutionen und Persönlichkeiten in Gesellschaft und Politik praktizieren heute eine umgekehrte Aufstellung: Sie richten die Köpfe nach außen, wegen der allgemeinen Orientierungslosigkeit vielfach in unterschiedliche Richtungen, und schlagen nicht mehr nach außen, sondern nach innen - gegeneinander. Sie dürfen deshalb des klammheimlichen Beifalls der bisherigen gemeinsamen Gegner sicher sein. Für August Bebel war dies ein Warnsignal, die eigenen Positionen noch einmal zu überdenken, zumindest aber gut zu erklären.

 Selbstverständlich gibt es immer wieder bedenkenswerte Gründe für einen einzelnen oder eine Gruppe, die bewährte Einheitsfront zu verlassen, um auf diese Weise ein Zeichen zu setzen. Es sind in der Regel Gewissensgründe, die - ebenso verständlich - zu respektieren sind, und zwar nicht allein wegen der ausdrücklichen Schutzbestimmung des Artikels 38 GG. Aber es gibt nicht nur Gewissensgründe, sondern auch "gewisse Gründe", die sich aus einer eklatanten Fehleinschätzung des Gegners oder der eigenen Möglichkeiten, aus politischer Naivität oder opportunistischer Anpassung an vermeintlich neue Trends erklären lassen.

Zur Vermeidung von sehr naheliegenden Mißverständnissen und bedenklichen politischen Irritationen sollte dieser Respekt allerdings auch denjenigen gezollt werden, die an den bisher gemeinsam behaupteten Positionen festhalten. Das ist aber nicht der Fall, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Das  übliche Ritual der "Distanzierung" zielt ja nicht nur auf die Diffamierung in Jahrzehnten gewachsener Gemeinschaften ab, sondern auch auf die Preisgabe eigener Wertvorstellungen - und damit auf die persönliche Integrität der Beteiligten. Erinnerungen an die Methoden und Konsequenzen öffentlicher "Selbstkritik" in den sozialistischen Systemen stellen sich immer häufiger ein. Sollten die dabei festgestellten Ähnlichkeiten wirklich rein zufällig sein? Darüber sollte gründlich nachgedacht werden.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaft an der Hochschule der Künste Berlin.

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