© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/08 15. August 2008

Im Griff der Geopolitik
Testfall Georgien: Im Kaukasus prallen die Interessensphären der USA und Rußlands aufeinander
Günther Deschner

Kaum waren im "kaukasischen August-Krieg" die ersten Granaten explodiert, da beendete Mamuka Kuraschwili das Rätselraten darüber, was im Gange war: Die georgische Armee habe eine Großoffensive gestartet, "zur Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung im separatistischen Südossetien". Georgiens Präsident Micheil Saakaschwili pfiff seinen General weder zurück, noch dementierte er dessen Angaben.

Um die Zukunft Abchasiens und Südossetiens schwelte seit Jahren der Konflikt zwischen dem westlich orientierten Georgien und Rußland, auf beiden Seiten ein Spiel mit gezinkten Karten. Seit Monaten war "Krieg in Sicht". Die Tragweite des Konflikts reicht weit über den Kaukasus hinaus. Denn die beiden von Georgien abtrünnigen Republiken sind eine der Sollbruchstellen im Verhältnis zwischen den USA und Rußland.

Washington hatte Georgien seit dem Ende der Sowjetunion und der Definition des Südkaukasus als einer amerikanischen Interessensphäre zu seinem Partner in dieser Region erkoren. Hintergrund war und ist ein geostrategisches Ringen um den Zugang zu Gas und Öl der Kaspischen Region und um die Kontrolle über die großen Pipelines. Vor allem geht es um die 1.800 Kilometer lange BTC-Ölleitung vom aserbeidschanischen Baku über das georgische Tiflis zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan. Washington sieht darin einen Weg, das kaspische Öl in den Westen verbringen zu können, ohne Rußland oder gar dem Iran eine Einflußmöglichkeit zu geben. Auch deswegen steht Amerika seit Jahren an der Seite Saakaschwilis, der sein Land ganz auf US-Kurs trimmt, es auf Biegen oder Brechen in die Nato führen will und es deswegen auch zum zuletzt drittgrößten Truppensteller in George W. Bushs "Koalition der Willigen" im Irak-Krieg machte.

Moskaus Ziel, Georgien zu destabilisieren und eine Regierung zu installieren, die stärker auf die Interessen des großen russischen Nachbarn Rücksicht nimmt, ist deswegen ebenso naheliegend wie durchsichtig. Das liegt in der seit Putin wiederbelebten Großmachttradition Moskaus und dem daraus resultierenden Bestreben, westliche Positionen, wie sie rund um Rußland entstanden sind, zurückzubauen. Im Falle Georgiens hat Rußland mit seiner Unterstützung Südossetiens und Abchasiens ein passendes Druckmittel in der Hand.

Saakaschwilis demonstrativ offensives Vorgehen gegen Südossetien war deswegen naiv und politisch dumm. Es lieferte dem Kreml eine Steilvorlage für eine harte militärische Intervention. Das wird den ehemaligen Strahlemann der "Rosenrevolution" das Amt kosten - und Südossetien und Abchasien dürften für Georgien verloren sein. Bald zwanzig Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion hat der Krieg im Kaukasus deutlich gemacht, daß Rußland seinen Anspruch, als wiedererwachte Großmacht sein regionales Vorfeld als eigenes Interessengebiet zu behandeln, neu stellt. In russischen Augen war das harte Vorgehen angemessen und verhältnismäßig. Eine bewußt überproportionale Reaktion sollte dem Nachbarn eine Lektion erteilen, die dieser nicht vergißt, dem Westen sollte gezeigt werden, daß auch Rußland Großmachtinteressen hat und daß es so entschlossen wie imstande ist, diese durchzusetzen. Überrascht darüber konnte niemand sein. Alle haben damit rechnen müssen, daß die einseitige Anerkennung des Kosovo durch den Westen von Rußland bei nächstbester Gelegenheit mit einem "Wie du mir, so ich dir" beantwortet werden würde.

Ganz ungefährlich ist Moskaus Strategie aber auch nicht. Aus Erfahrung weiß man dort, daß im russischen Nordkaukasus ebenfalls Konflikte brodeln. Neue Eskalationen in Inguschetien, Dagestan und Tschetschenien sind das letzte, woran Rußland gelegen sein kann. Georgiens geostrategische Lage als Korridor zum Kaspischen Meer macht das Land für den Westen höchst interessant. Ohne Georgien müßten die Pipelines, die Energie unter Umgehung russischen Gebiets in den Westen transportieren könnten, über iranisches Gebiet verlaufen, was nach US-Vorstellung unmöglich ist. Offenkundig sind auch die strategischen Interessen der USA: Georgien ist nicht nur ein wichtiges Glied im Einkreisungsring um Rußland, es wäre auch ein günstiger Stützpunkt für einen möglichen Krieg gegen den nicht weit entfernten Iran. Nachdem die Türkei sich in der Iran-Frage für den Westen immer mehr als unsicherer Kantonist offenbart, rechnete sich Georgien Anerkennung und eine Nato-Mitgliedschaft aus. Georgien bietet auch Tiefwasserhäfen in strategisch interessanter Lage und potentielle Luftwaffen- und Militärbasen.

Vielleicht hätte ein beherzter Rückpfiff der USA und der EU Georgien davor bewahren können, ins offene Messer zu laufen. So aber hat Moskau die Gelegenheit genutzt, die ihm Saakaschwili bot, die Nato öffentlich bloßzustellen und als Papiertiger vorzuführen. Die Attraktivität der US-geführten Allianz für andere Anwärter soll vermindert, das Liebäugeln mit ihr als riskant hingestellt werden. In Kiew, Baku und in weiteren Hauptstädten wird man dieses Signal, das der Krieg im Kaukasus gegeben hat, deshalb aufmerksam registrieren.

So wie Washington gemäß seiner Monroe-Doktrin Lateinamerika als Vorhof betrachtet, wo es nach Gutdünken eingreifen darf, rechnet eine Art "Putin-Doktrin" die Staaten rund um Rußland zum Vorfeld der russischen Außen- und Sicherheitspolitik. Schon jetzt ist deutlich, daß Rußlands Rückkehr zu diesen Prinzipien zu einer neuen Entfremdung zwischen Rußland und den USA beitragen kann. Nun rächt sich, daß Amerika - zumindest in der Wahrnehmung der Russen - seit Jahren eine Politik der Einkreisung Rußlands anstelle seiner Einbindung betreibt.

Von Anfang an war klar, daß der "kaukasische August-Krieg" nicht in einen russischen Eroberungskrieg ausarten würde. Doch er hat dazu geführt, daß die politischen Faktoren zu überprüfen und neu zu bewerten sind. Das ist ganz normale Realpolitik.                      

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