© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/08 15. August 2008

Frisch gepresst

Deutsche Opfer. Der mit einem Fragezeichen versehene Titel der Aufsatzsammlung "A Nation of Victims?" (Representations of German Wartime Suffering from 1945 to the Present, herausgegeben von Helmut Schmitz, Editions Rodopi, Amsterdam/New York 2007, gebunden, 265 Seiten, 57 Euro) ist durchaus rhetorisch gemeint. Um dies festzustellen, genügt ein Blick auf die Liste der Beiträger. Unter ihnen ist ein Wirrkopf wie der Gießener Politologe Samuel Salzborn, der sein Erdendasein damit vertrödelt, die deutschen Vertriebenen zu dämonisieren, und der hier einen Aufsatz über den "Mythos" der deutschen "Opfer-Nation", der - was er verschweigt - 2006 in einem Reader der Universität Haifa auf hebräisch erschien, einer Zweitverwertung zuführt. Diesmal auf englisch. Der lingua franca bedienen sich auch die meisten der anderen Autoren, die Salzborns Überzeugung eint, daß es bei den apriorisch zum "Tätervolk" deklarierten deutschen Opfer im Zweiten Weltkrieg "eigentlich" nicht geben könne. Nur eben "Konstruktionen" deutschen Leidens in Literatur und Film nach 1945, wie Gilad Margalit (Haifa), Heinz-Peter Preußer (Bremen) und die am Centre for Jewish Studies in Leeds mit einer Arbeit über "Holocaust memory" promovierte Annette Seidel Arpaci am Beispiel der "Erinnerungskultur" zu den Toten des alliierten Luftterrors glauben machen möchten.

 

Lord Salisbury. "Altjüngferlich" - eine Vokabel, die, zugegeben, schon in Vor-"Gender"-Zeiten ein Geschmäckle hatte. Trotzdem fällt sie einem sofort ein, wenn man die vom Versailles-Verharmloser Peter Krüger (Marburg) angeregte, von dem glücklich dann doch verhinderten Auswärtigen-Amt-Berater Gregor Schöllgen (Erlangen) betreute Dissertation Christian Hoyers über den englischen Journalisten, Chef des Foreign Office und Lenker der spätviktorianischen Geschicke des Empire, den Marquis of Salisbury, liest (Salisbury und Deutschland. Außenpolitisches Denken und britische Deutschlandpolitik zwischen 1856 und 1880, Matthiesen Verlag, Husum 2008, 507 Seiten, 69 Euro). Denn altjüngferlich, das heißt so viel wie umständlich, skrupulös, warmduscherisch, teigig. Auf 500 Seiten sagt Hoyer folglich, was sich auf fünf ebenso konzis formulieren ließe. Nämlich, daß Salisbury weder, wie mancher deutsche Historiker vor 1945 gern annahm, sonderlich preußenfeindlich noch exzeptionell frankophil war. Er trieb klassische britische Gleichgewichtspolitik, wollte feste Bündnisse meiden, um die Festlandmächte um so gewisser gegeneinander ausspielen zu können. Mehr war da nicht. Und dies unumwunden mitzuteilen, hätte Hoyer und der überschaubaren Leserzahl, die diesem Opus ein Wochenende opfert, kostbare Lebenszeit gespart.

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