© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/08 22. August 2008

CD: Pop
Lebenshilfe
Georg Ginster

Gut, daß ich weiß, daß das Leben so ist": Kaum ein Popmusiker, der es noch nicht geschafft hat, bloß als Typus Anerkennung zu finden, kann umhin, sich diesem Anspruch zu stellen, wenn sein Produkt als Soundtrack für aktuelle Stimmungslagen eines möglichst breiten Publikums geeignet sein soll. Allzu tiefschürfende philosophische Betrachtungen sind dabei kaum absatzfördernd. Es genügt eine passable Beobachtungsgabe für die aktuellen Formen, die die ewiggleichen Banalitäten des Alltags wie Liebe und Liebesleid, Verzweiflung und Euphorie, Scheitern und Neubeginnen annehmen, um mit ein paar passenden Worten und einer netten Weise ein Stückchen Lebenshilfe zu fabrizieren, das viele als ganz auf sie persönlich zugeschnitten empfinden, obwohl es doch eigentlich für alle und keinen gemacht wurde.

Max Müller hingegen ist stur dem elitären Zeitgeist der Anfangsjahre seiner Musikerbiographie verpflichtet geblieben, der dazu anhielt, ob wichtiger Botschaften den kommerziellen Erfolg, und wäre es nur zum Schein, bewußt hintanzustellen. Was der in Wolfsburg geborene Mittvierziger unter Leben versteht, ist daher mehr als das, was man selber erlebt. Er begleitet nicht bloß den Pingpong-Ball der individuellen Existenz auf seinem Flug mal hierhin, mal dorthin, sondern fragt nach jenen, die die Schläger führen. "Es reicht schon lange nicht mehr, daß es dich einfach gibt": Früher nannte man so einen Ansatz, die gesellschaftlichen Bedingungen des privaten Lebens zu thematisieren oder so ähnlich, was natürlich ein für alle Beteiligten sehr anstrengendes und in Ermangelung von Handlungsalternativen zur Beendigung unerwünschter Zustände auch sehr unerfreuliches Unterfangen ist - und einem daher auf Dauer nur wenige Freunde und Käufer einbringt.

Allerdings versüßt Max Müller die bittere Kost, indem er sowohl in den Werken seiner Band Mutter als auch auf Solopfaden den Zeigefinger einklappt und so subtilen wie witzigen Assoziationen freien Lauf läßt. Mit seiner aktuellen CD "Auch die Nostalgie ist nicht mehr das, was sie früher einmal war" (Angelika Köhlermann, Wien) hat er dies, bei allem Beharren auf einem vermeintlich urwüchsigen Dilettantismus, nahezu zur Perfektion getrieben. Seine Perspektive ist nicht jene des bildungsbürgerlichen Milieus, das keine Bedenken trägt, die Menschen nach Belieben moralisch zu überfordern. Die Sehnsüchte der Massen weniger nach einem erfüllten Arbeitsleben als nach Faulheit ohne Reue sowie ihr unkompliziertes Verhältnis zur alltäglichen Gewalt scheinen ihm weder fremd noch befremdlich zu sein. Sein Appell an das gesunde Volksempfinden muß aber verhallen, da es dieses so nicht mehr gibt. Sein Standpunkt ist daher jener eines unfreiwilligen Konservatismus im Sinne eines Ausharrens auf verlorenem Posten. Max Müller trägt dieses Schicksal jedoch mit Fassung: "Völlig Neues kann es gar nicht geben, weil es immer der Mensch ist, der dem Menschen im Weg steht."

So authentisch der Gesang dieses wie auch so vieler anderer Waldgänger im Schrebergarten vielleicht sein mag: Man ist längst müde, ihn immer wieder hören zu müssen, zumal ihm kein Funken denkbarer Befreiung mehr innewohnt. Die Hoffnungen ruhen hier einzig und allein auf dem an einem Heiligabend in Berlin geborenen Alexander Marcus. Nun schallt es Prosit durch die Nacht dank seiner Debüt-CD "Electrolore" (Kontor Records, Hamburg), deren Aufbruchsstimmung all jene, die die Zeugnisse seines Schaffens via You Tube wie ein Lauffeuer bereits ereilt hatte, jedoch nicht unvorbereitet traf. "Hollala, hollala, hoppsassa (heia), nichts ist heut verboten, fiderallala": In Alexander Marcus findet die fragmentierte deutsche Identität wieder zu einem Ganzen zusammen. "Endlich geht's nach vorne."

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