© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/08 29. August 2008

"Ach wie gut, daß niemand weiß ..."
Warum der deutsch-jüdische Publizist Henryk M. Broder der Deutsch-Jüdin Evelyn Hecht-Galinski Antisemitismus vorwirft
Doris Neujahr

Evelyn Hecht-Galinski (58) ist als streitbare Person bekannt. Die Tochter des langjährigen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, hält überhaupt nichts von der deutschen Betroffenheitsrhetorik gegenüber den Juden und Israel, die ein Gespräch unter Gleichberechtigten schon im Ansatz unterbindet. Die Diskriminierung, Vertreibung und Enteignung der Palästinenser durch Israel nennt sie friedensgefährdend, das Schweigen Deutschlands dazu verlogen und unwürdig.

Sicher, ohne vergleichbare Herkunft könnte man sich solche Töne nicht leisten. Doch Hecht-Galinski ist in ihrer Kritik konsequent. Ihr Ziel ist eine Situation, in der ihr Privileg auf Meinungsfreiheit dadurch aufgehoben wird, daß es sich in Allgemeingut verwandelt.

Damit ist sie ins Visier des Publizisten Henryk M. Broder (62) geraten. Er hat über Hecht-Galinski verbreitet, sie stehe für "antisemitische" Äußerungen. Für eine Nicht-Jüdin wäre Broders Vorwurf tödlich. Für Galinski-Hecht ist er immer noch persönlich kränkend und für ihr öffentliches Ansehen schädlich. Sie hat daher gegen Broder eine Einstweilige Anordnung erwirkt. Seine Äußerung sei eine Schmähung ohne Sachbezug und damit unzulässig. Broder hat erwidert, Hecht-Galinski wolle ihm "einen Maulkorb verpassen", und eine Klage gegen die Anordnung eingereicht. Die gerichtliche Entscheidung soll voraussichtlich am 3. September fallen.

Warum greift Broder, der sich sonst als Vorkämpfer der Gedankenfreiheit geriert, gegen Hecht-Galinski zum Mittel der Stigmatisierung und Einschüchterung? Die Antwort ist einfach: Sein Ruf als mutiger Tabubrecher währt nur so lange, wie die Tabus, mit denen er spielt - und das deutsch-jüdische ist das zentrale Tabu! -, jedenfalls für die Allgemeinheit intakt bleiben. In dem Moment, in dem Meinungsfreiheit einzieht, verliert seine öffentliche, herkunftsbedingte Exklusivstellung rasant an Wert. Er ist das Rumpelstilzchen, das das System der Unfreiheit bestätigt und von ihm lebt, kein Drachentöter, der es besiegen will.

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