© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/08 12. September 2008

Röntgenaufnahmen am Hindukusch
Zwei "Spiegel"-Berichterstatter für Afghanistan porträtieren die Geschichte, Kultur und Politik eines deutschen Einsatzgebietes
Christian Dorn

Bis Mitte Oktober läuft das derzeitige Bundeswehrmandat im Rahmen der Isaf-Schutztruppe in Afghanistan. Dann wird der Bundestag erneut über eine Verlängerung und womöglich eine Erweiterung des Militäreinsatzes am Hindukusch entscheiden müssen. Daß die Mehrheit des Parlaments bis dahin ein Verständnis für den Einsatzort gewonnen hat, an dem bislang 28 deutsche Soldaten ihr Leben lassen mußten, darf angesichts der aktuellen Diskussion bezweifelt werden. Längst überfälliger Ausdruck dessen sind die jüngsten Äußerungen von Bernhard Gertz, des Vorsitzenden des Bundeswehrverbandes, welcher der Bundesregierung vorwirft, die Wahrheit über den Einsatz zu verschleiern: die Tatsache, daß wir uns "in einem Krieg" befinden gegen "einen zu allem entschlossenen, fanatischen Gegner".

Daß der vorzeitige Abzug aus dieser Region unabsehbare Konsequenzen nach sich zöge, meinen auch die beiden ausgewiesenen Afghanistan-Kenner Susanne Koelbl und Olaf Ihlau. Die Spiegel-Auslandsreporterin Koelbl ist seit dem Fall der Taliban so häufig in Afghanistan gewesen wie kein anderer deutscher Journalist. Ihr Kollege Ihlau, langjähriger Spiegel-Ressortchef, berichtete schon in den achtziger Jahren als Korrespondent über den sowjetischen Afghanistan-Feldzug.

Nach ihrer Ansicht könnte im Falle eines Scheiterns der aktuellen Afghanistan-Mission die Nato als größtes Militärbündnis der Welt zerbrechen; die Vereinten Nationen würden weiter an Glaubwürdigkeit einbüßen, und Afghanistan dürfte zu einer der wichtigsten Drehscheiben eines weltweiten Islamisten-Terrornetzes werden, das zum Ziel hat, die westliche Welt zu destabilisieren.

So steht es im Vorwort ihres mit atemloser Spannung zu lesenden Berichts über Afghanistan, der nicht nur die aktuelle Situation des Landes durchleuchtet - von der Dorfprovinz über den zwischen Taliban und Regierung stehenden Stammesfürsten bis zum Präsidenten Hamid Karzai -, sondern auch die Historie des Landes in einer gerafften und dabei anekdotenreichen Weise skizziert. So erfahren wir vom ebenso revolutionären wie verhängnisvollen Wirken des afghanischen Reformerkönigs Amanullah und seiner Begeisterung für Deutschland, die insbesondere den Kruppschen Kanonen galt. Als der Gast vom Hindukusch vor achtzig Jahren, am 22. Februar 1928, in der Reichshauptstadt eintraf, war "halb Berlin" auf den Beinen. Immerhin war es für die international noch weitgehend geächtete Weimarer Republik der erste Besuch eines gekrönten Staatsoberhaupts nach dem Versailler Vertrag.

Amanullah war es auch, der das britische Protektorat gebrochen und 1919 die Unabhängigkeit Afghanistans ausgerufen hatte, zunächst anerkannt von Lenins Staat, bald darauf durch die Weimarer Republik. Auf dem Tempelhofer Feld in Berlin durfte er sich während seines Besuchs als Geschenk das neueste Modell eines Junkers-Flugzeugs aussuchen.

Das half aber nicht, als Amanullah nach seiner Rückkehr "im heißen August 1928" eine Große Ratsversammlung mit über 500 Provinznotabeln und Stammesfürsten abhielt. Mit einem deutschen Schäferhund an der Leine erwartete er die Geladenen, die auf seine Anweisung hin "in schwarzen Anzügen, mit gestutzten Bärten und einem eleganten Homburg-Filzhut" zu erscheinen hatten.

Bald darauf riefen die Mullahs zum Dschihad auf. Amanullah floh schließlich ins Exil, doch sein Aufbruch in die reformerische Moderne hatte Afganistan "einen Rückfall in das finsterste Mittelalter beschert". Der nun regierende Banditenkönig Bacha-i-Sakao ("Sohn des Wasserträgers") erklärte sich selbst zum Emir und taufte sich auf den Namen Habibullah Ghazi ("der von Gott geliebte und Verteidiger des Glaubens").

Neben den historischen Exkursen bestechen die atmosphärisch dichten Beschreibungen vor allem durch die fast komplett zu nennende Zahl der Begegnungen und Porträts, die - mit Ausnahme Osama bin Ladens - nahezu alle Protagonisten jener Region versammelt, etwa den tragischen Revolutionskommandanten Mohammed Nadschibullah, den islamistischen Kriegsherrn Gulbuddin Hekmatjar oder den "ewigen Krieger" Abdul Rashid Dostum.

Sie runden ein Bild ab, das für Egon Bahr einer "Röntgenaufnahme Afganistans gleichkommt" und eine "Pflichtlektüre" sei für alle, "die mitentscheiden, wohin der deutsche Einsatz in diesem Land führen soll".

Susanne Koelbl, Olaf Ihlau: Geliebtes, dunkles Land. Menschen und Mächte in Afghanistan. Siedler Verlag, München 2007, gebunden, 320 Seiten, Abbildungen, 22,95 Euro

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