© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/08 03. Oktober 2008

Die Watschn
Nach der Bayernwahl: Der Verlust der absoluten CSU-Mehrheit trifft die Unionsparteien ins Mark
Kurt Zach

War das nun die "Revolution in Bayern", das "Waterloo der CSU", ein "Debakel" oder nur die Rückkehr des Freistaats zur Normalität? Die einstige bayerische Staatspartei hat fast ein Drittel ihres Wähleranteils verloren, ihre seit nahezu einem halben Jahrhundert scheinbar sicher gebuchte absolute Mehrheit verspielt und trotzdem noch ein Ergebnis erzielt, bei dem die meisten Unions-Landesfürsten und die Kanzlerin selbst stolzgeschwellt vor der Kamera stünden. Der Absturz der CSU kam nicht von ungefähr, er hat hausgemachte Anlässe und tieferliegende Ursachen, und seine Auswirkungen werden nicht auf Bayern beschränkt bleiben.

Vordergründig hat das Desaster der Christsozialen wenigstens drei Väter: Erwin Huber, Günther Beckstein und Edmund Stoiber. Dem tolpatschigen Führungsduo ist alles, was es nach dem intrigant inszenierten Stoiber-Sturz angepackt hat, zur Lachnummer und zur Kommunikationspanne geraten, von Becksteins Flucht aus dem Transrapid über Hubers Vertuschungsversuche bei den Landesbank-Verlusten bis hin zum stammtischbedrohenden Rauchverbot, zur vermurksten Pendlerpauschalen- und zur mißglückten Zwei-Maß-und-dann-aufs-Gas-Volkstümlichkeit.

Aber deswegen allein verliert man noch nicht zweistellig. Die glücklosen Nachfolger mußten für die Fehler der letzten Stoiber-Amtsperiode mitbezahlen, die sie als Fachminister freilich mitgestaltet hatten: für schludrige Bildungspolitik, Filz und Abgehobenheit, und vor allem für Stoibers Flucht aus der Berliner Verantwortung und dafür, daß er selbst nicht den nötigen Generationenwechsel eingeleitet hat und auch deshalb nicht von einem sorgsam aufgebauten Kronprinzen, sondern von zwei gleichaltrigen, aber provinzielleren Gefolgsleuten abgelöst wurde.

Der vierte Name im Urheber-Tableau heißt Angela Merkel. Die verstärkte Provinzialisierung der CSU seit der letzten Bundestagswahl ging einher mit ihrer schleichenden Merkelisierung: dem Schielen nach links zur Mitte, weltanschaulicher Indifferenz in den großen Fragen, tagespolitischem Reagieren im Kleinklein, zeitgeistigem Opportunismus von Antifa-Anbiederung bis Krippensozialismus, der Geringschätzung aller das atomisierte Individuum übergreifenden Bindungen. Wen außer einem selbstherrlichen Machtanspruch kaum noch etwas von einem gewöhnlichen CDU-Landesverband unterscheidet, dem nimmt man das Konservative nicht ab, auch wenn es als Worthülse noch gern bemüht wird.

Seit Franz Josef Strauß - der den großen Auftritt bei der Abschlußkundgebung vor einer Schicksalswahl niemals an den Chef oder die Chefin der Schwesterpartei abgetreten hätte, so wie Huber und Beckstein - hat sich viel verändert. Auch die CSU kann dem gesellschaftlichen Wandel nicht entkommen: Konservative Milieus und Strukturen schrumpfen oder lösen sich auf, traditionelle Parteibindungen schwinden mit ihnen.

Mehr als hinhaltenden Widerstand konnte die CSU dem nie entgegensetzen, auch nicht unter Strauß, der die eiskalte Entsorgung der versprochenen "geistig-moralischen" Wende durch den CDU-Kanzler Helmut Kohl tatenlos hinnahm. Das Verhältnis der CSU, wie der Union insgesamt, zu den sie lange Zeit tragenden konservativen und ländlichen Strukturen war stets eher taktischer als strategischer Natur. Man nutzte gläubige Christen oder Vertriebene, Heimatverbundene und Nationalgesinnte gern als sichere Bank, steckte ihnen auch mal Geschenke zu, doch den Kampf um die kulturelle Hegemonie in gesellschaftlichen Gruppen, Organisationen und Subkulturen, in den Medien und an den Hochschulen überließ man den Achtundsechzigern und ihren Erben.

Aufschlußreich ist, wer vom Vertrauensverlust der CSU nicht profitiert hat: die durch Ausgrenzung und Diffamierung marginalisierten rechten Parteien. Obwohl der Verlust der absoluten Mehrheit den Schlußpunkt unter das Abdanken der CSU als "demokratische Rechte" im etablierten Parteienspektrum setzte, konnten beispielsweise die rechtskonservativen Republikaner schon mangels Präsenz davon nicht profitieren. Das heißt aber nicht, daß eine Diversifizierung der Parteienlandschaft nach rechts nicht grundsätzlich möglich wäre. Bayern bleibt weiter "bürgerlich"; die Verluste der CSU sind fast ausschließlich der FDP und den Freien Wählern zugekommen. Mit letzteren hat erstmals eine Gruppierung, die Holz vom Holze der CSU ist, den Sprung in den Landtag geschafft.

Während die Rückkehr der FDP als wirtschaftsliberales Korrektiv durchaus von Dauer sein könnte, ist die Verstetigung des Erfolgs der Freien Wähler von vielen Unwägbarkeiten abhängig. Wird sich die programmatisch heterogene Gruppierung, die stolz auf ihre vermeintlich pragmatische "Ideologiefreiheit" ist, im politischen Tagesgeschäft zerstreiten und entzaubern? Kann sie auf Dauer als Nicht-Partei ohne einen programmatischen Kernbestand an gestaltenden Inhalten auskommen? Sucht sie diese Linie in der linken CDU-Mitte, wird das Gedränge dort noch enger; sucht sie ihn rechts der CSU, wird der Gegenwind scharf.

Becksteins zaghafte Hoffnung, die "freien" ehemaligen Wähler wieder einzufangen - vor allem in Wahlen zu Bundestag oder Europaparlament, wo diese nicht antreten - ist von daher nicht unbegründet. Auch die Bundes-CDU muß ein Interesse daran haben, die CSU als rechten Flügel der Union wiederauferstehen zu lassen und nicht zu einem Unions-Landesverband unter vielen werden zu lassen: Ohne die starken Stimmenbänke aus Bayern wackelt auch ihre Kanzlerschaft.

Viel hängt für die CSU davon ab, wer nach dem überfälligen Abgang der gescheiterten Führungsmannschaft die Brücke betritt: Den Nimbus wiedergewinnen, dem die CSU ihre absoluten Mehrheiten verdankte, kann - wenn überhaupt - nur ein Charismatiker, der mehr vermittelt als pure Machtbesessenheit.

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