© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/08 03. Oktober 2008

Tag der Deutschen Einheit
Deutschland volljährig
Dieter Stein

Vor achtzehn Jahren stand ich nachts auf der Wiese vor dem Reichstag in Berlin. Es war kalt. Aber die Menschen lachten. Mehrere hunderttausend waren zusammengeströmt, um die Vereinigung von West- und Mitteldeutschland, den Beitritt des Gebietes der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik Deutschland zu feiern. Eine riesige "Fahne der Einheit" wurde am Reichstag emporgezogen. Berlin, ein schwarzrotgoldenes Fahnenmeer. Es war ein freudiger Tag.

Daß die Regierung Kohl mit dem 3. Oktober 1990 ein technisches Datum zum Nationalfeiertag erhoben hat und nicht den 9. November 1989, ist jedoch ein Mißgriff. Die entscheidende Einheit war ja schon mit der Wirtschafts- und Währungsunion am 1. Juli 1990, der Einführung der D-Mark, vollzogen worden. Der 3. Oktober - nur mehr ein juristisch-formaler Akt. Nur der 9. November weckt lebendige und ergreifende Gefühle bei den Deutschen, als die Mauer von Osten eingedrückt wurde und die Freiheits- und Einheitsliebe der jahrzehntelang Eingesperrten der Bundesregierung das vernachlässigte Thema der deutschen Einheit aufzwang.

Achtzehn Jahre - ein Alter, in dem man von Volljährigkeit spricht. Ist das wiedervereinte Deutschland inzwischen erwachsen geworden? Es ist unglaublich viel geleistet worden in den Jahren des Wiederaufbaus. Die alten Stadtkerne Mitteldeutschlands sind wiedererstanden, eine erstklassige Infrastruktur durchzieht das Land. Viele Unternehmen entstanden neu oder wurden reaktiviert - trotz des himmelschreienden Skandals der Anerkennung der Enteignungen 1945/49 durch Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht.

In einem kürzlich veröffentlichten Gespräch mit den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte schildert der damalige BND-Chef Hans-Georg Wieck (1985 bis 1990 im Amt), welche Rolle die deutsche Frage in den Analysen des westdeutschen Auslandsgeheimdienstes spielte. Wie Erhebungen in Bonn auf Desinteresse stießen, daß nach wie vor 72 bis 78 Prozent der vom BND befragten DDR-Bürger am Ziel der deutschen Einheit festhalten wollten. In Bonn ging man lieber von der praktischen These aus, es sei ein eigenes Staatsbewußtsein in der DDR entstanden, weshalb der Wunsch nach Einheit nicht mehr auf der Tagesordnung stehe. "Die Frage der deutschen Einheit war in der alten Bundesrepublik 'unpopulär' geworden." (Wieck)

Da war wohl bei vielen Bonner Politikern der Wunsch Vater des Gedankens. Tatsächlich war in der westdeutschen Bundesrepublik eine Art eigenes Staatsbewußtsein entstanden, in dessen Vorstellung die Einheit nicht mehr vorkam. Tonangebende Teile der dortigen Eliten hatten sich mit der Teilung längst arrangiert. Der Mauerfall und die anstürmenden "Ossis" brachten ihr sattes Weltbild ins Wanken.

Doch hat Deutschland die Mittellage, das neu gewonnene Gewicht verarbeitet, das ihm durch die Wiedervereinigung zugewachsen ist? Noch nicht. Dafür lebt die DDR wieder auf - in Gestalt einer reüssierenden SED/PDS/Linkspartei und einer antifaschistischen "Nationalen Front" unter Einbeziehung der CDU ...

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