© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/08 03. Oktober 2008

Unnötige Belastungen
"Aufbau Ost": Trotz aller Erfolge in den neuen Bundesländern sind die Auswirkungen der überhasteten Währungsunion bis heute spürbar
Klaus Peter Krause

Für sein Wort von den "blühenden Landschaften" ist Helmut Kohl oft mit Häme bedacht worden.  Wir wissen, wie es damals, 1990, gemeint war: Immerhin mußten im einstigen DDR-Gebiet nicht nur jene Lücken wieder aufgefüllt werden, die Kriegszerstörungen und Reparationen an die Sowjetunion gerissen hatten, sondern es war auch alles das wiederherzurichten, was fünfundvierzig Jahre lang zusätzlich der Sozialismus ruiniert hatte, alles Heruntergekommene, Verfallene, Verwirtschaftete, also Gebäude, Fabriken, Straßen, die ganze Infrastruktur. Und natürlich die Wirtschaft.

Wenn man weiß, wie die DDR 1990 aussah und wie es in den fünf neuen Bundesländern heute aussieht, dann ist dort, zumindest dem Augenschein nach, vieles in der Tat aufgeblüht, dann ist der Zustand einst und der Zustand jetzt ein Unterschied wie Tag und Nacht. Insofern kann man nicht sagen, im heutigen Nordost- und einstigen Mitteldeutschland hätte sich nichts getan. Dabei wissen wir, daß dieses äußerliche Blühen mit höchsten Subventionen erkauft wurde und noch immer erkauft wird. Wir wissen ebenfalls, daß die meisten DDR-Betriebe zusammengebrochen sind, daß die Arbeitslosigkeit unerträglich hoch ist, daß immer mehr junge Menschen den Nordosten in Richtung Westen und Süden verlassen haben, daß sich Landstriche von Menschen geradezu entleeren.

Aber längst vergessen oder verdrängt ist, daß dieser Niedergang und der Beginn der hohen Arbeitslosigkeit in Nordostdeutschland mit der Währungsunion ausgelöst worden ist. Die DDR-Bürger hatten die D-Mark sofort gewollt. Die geflügelte Drohung von damals klingt den Zeitgenossen noch in den Ohren: "Wenn die D-Mark nicht zu uns kommt, kommen wir zur D-Mark." Aber nicht so sehr dieser Wunsch nach der "D-Mark sofort" hat das Desaster ausgelöst, sondern das (nur scheinbar großzügige) Umtauschverhältnis von DDR-Mark in D-Mark, das bei weitem nicht den Produktivitäts- und Kaufkraftunterschieden entsprach.

Auch aus dem berühmten Ardenne-Forschungsinstitut in Dresden war gewarnt worden: Mit dem Beginn der Währungsunion werde es in der DDR einen "Flächenbrand an Konkursen" geben. Die Wirtschaftslage in den DDR-Betrieben  sei viel schlimmer als allgemein geschildert. Es werde nach der Währungsunion viel dramatischer werden, als man es in der Bundesrepublik vermute. Westdeutsche Ökonomen hatten ebenfalls gewarnt. Unter den DDR-Betriebsleitern hielt man die unvermittelte Währungsunion ohnehin für ein gewaltiges Unglück, das schon einem Todesurteil nahekam. Die Technik ihrer Betriebe war veraltet, vieles verrottet. Das machte mehr Arbeitskräfte nötig als für neueste Technik. Darüber hinaus wurden viele, obwohl nicht benötigt, mit durchgeschleppt, um die sonst sichtbaren Arbeitslosen zu verstecken. Entsprechend gering fiel das Produktionsergebnis je Arbeitseinheit aus, die Leistungskraft der Arbeit, die Arbeitsproduktivität. Darum auch bekamen die Beschäftigten ein deutlich geringeres Arbeitsentgelt als die im Westen Deutschlands.

Eine vergleichsweise geringe Arbeitsproduktivität kann ökonomisch Sinn machen, wenn es viele Arbeitskräfte gibt, die man beschäftigen muß, und wenn Kapitalgüter (wie Maschinen) knapp und teuer sind, die Arbeitskräfte aber vergleichsweise billig. In einen solchen Zustand haben staatliche Kommandowirtschaft und weitgehende Abschottung der DDR-Wirtschaft vor ausländischer Konkurrenz die Betriebe hineingetrieben. Doch war er nicht länger zu halten. Die offenen Grenzen machten nun das Abwandern der Beschäftigten dorthin möglich, wo ihre Arbeit, weil produktiver eingesetzt, besser bezahlt wurde. Die Alternative zur Währungsunion wäre gewesen, die DDR-Mark noch einige Zeit bestehen zu lassen, sie aber frei konvertibel zu machen und im übrigen die nötigen Reformen vorzunehmen. Dann hätte sich für die Ostmark ein freier Wechselkurs gebildet, der das hohe Produktivitätsgefälle zwischen DDR und westlicher Wirtschaft ausgeglichen hätte wie eine Schleuse.

Die Schleuse des freien Wechselkurses hält einen wirtschaftlich starken Raum davon ab, einen wirtschaftlich (noch) schwachen zu überfluten und dessen Betriebe, weil diesem Wettbewerb nicht gewachsen, fortzureißen. Aber aus dem Druck der politischen Umstände haben sich die schnelle Währungsunion und bald darauf das Aufgehen der DDR in der Bundesrepublik als unumgänglich erwiesen. Durch den damit verbundenen Verzicht auf den Schutzmechanismus eines Wechselkurses war der schnelle Zusammenbruch der DDR-Betriebe unaufhaltsam geworden. Ebenso die Entlassung so vieler in die Arbeitslosigkeit oder die Abwanderung gerade der Tüchtigen und der Jungen in den Westen.

Diesen Zusammenhang haben die mitteldeutschen Landsleute damals, was man verstehen muß, nicht gekannt. Und heute wird den meisten wohl ebenfalls nicht klar sein, daß mit ihrem verständlicherweise schnellen Drang zur D-Mark dieser Teil ihres Unglücks seinen Lauf nahm und noch immer nicht beendet ist. Gleichwohl war die schnelle Einheit richtig, weil die Gunst der Stunde sie politisch förmlich erzwang, herbeigeführt durch den immer offenkundigeren wirtschaftlichen Konkurs der DDR und die   (friedliche) Revolution von immer mehr ihrer Bürger. Zusätzlich geschwächt wurde die mitteldeutsche Wirtschaft durch das (anfangs fiskalisch motivierte) Eintreiben der sogenannten Altschulden. Diese Schulden sind Zwangskredite des DDR-Staates gewesen: an seine Volkseigenen Betriebe (VEB), an seine Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) und Volkseigenen Güter (VEG), an seine Wohnungswirtschaft, an seine Kommunen. Sie waren Bestandteil der staatlichen Plan- und Zwangswirtschaft, wurden zugeteilt, ob man wollte oder nicht. Eigenkapital zu bilden, um nötige und selbstbestimmte Investitionen aus eigener Kraft zu finanzieren, war im Regelfall nicht zugelassen; erwirtschaftete Eigenmittel waren abzuführen. Als "Kredite" der DDR-Banken flossen sie in irgendeiner von planwirtschaftlicher Willkür bestimmten Höhe zurück. Tatsächlich sind es also nur Scheinkredite gewesen.

Der Zwangs- und Scheincharakter dieser Kredite ist offenkundig. Trotzdem wurden sie im Einigungsvertrag so behandelt, als seien es echte Kredite gewesen, wie sie in einer freien Marktwirtschaft üblich sind und als seien sie es auch noch nach dem Zusammenbruch der DDR. Das heißt, sie mußten getilgt und zu Marktsätzen verzinst werden. Diese nicht rechtmäßige Umwandlung der unechten in echte Schulden war für die DDR-Betriebe, die nun in die Marktwirtschaft katapultiert wurden, ein ruinös wirkender Willkürakt und hat zu deren schnellen Untergang ebenfalls beigetragen. Denn ihre völlig veralteten Anlagen stellten so gut wie keinen Gegenwert  mehr dar.

Zwar hat es in den Folgejahren Schuldenerlaß und -entlastungen gegeben, aber das anfängliche Unheil mit den Schulden war geschehen - von ihrem zwielichtigen Verkauf an westdeutsche Banken durch den Staat ganz abgesehen. Auch saß nun der staatliche "Erblastentilgungsfonds" auf diesen Schulden. Mit Steuergeldern bedient er sie. Da diese damit dem "Aufbau Ost" entzogen sind, ist auch indirekter Schaden durch die entgangene Nutzung zu konstatieren. Weil also die "Altschulden" in Wirklichkeit nichts weiter als sozialistische Schulden waren, hätten sie untergehen müssen wie die DDR mit ihrem Sozialismus, dem sie entstammten.

So wurde der Niedergang der Wirtschaft beim Übergang von Sozialismuswirtschaft zur Marktwirtschaft zwangsläufig beschleunigt und der "Aufbau Ost" unnötigerweise erheblich und nachhaltig belastet. Das hatte und hat immer auch noch politische Folgen. Sie schlagen sich nieder im Wahlverhalten der Bürger samt Wahlverweigerung, im Erstarken der SED-Nachfolgepartei PDS mit Linkspartei und WASG  (inzwischen verschmolzen zu "Die Linke") und von extremen Tendenzen am linken und rechten Rand des politischen Spektrums. Und so hat Deutschland, gemessen am Ergebnis der Bundestagswahl vom Herbst 2005 mit der Großen Koalition als Folge, an aktuellen Umfragen und am politischen Geschehen, nunmehr vor allem deshalb eine linke Mehrheit. Die dafür hauptverantwortlichen CDU/CSU und FDP stehen vor einem Scherbenhaufen ihrer Politik, einer Politik ihres Versagens.

Foto: Währungsunion am 1. Juli 1990 in Leipzig: Aus Sicht der DDR-Betriebe ein gewaltiges Unglück

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