© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/08 03. Oktober 2008

Frisch gepresst

Der Gast, der bleibt. "Hartnäckige Versäumisse" haben nach dem "Zustrom" vorwiegend türkischer "Gastarbeiter" zwischen 1965 und 1980 eine "gewaltige Zuwanderungswelle zur Folge gehabt". "Was dann nahezu unkontrolliert und in philantropischer Furcht vor dem Stempel 'Ausländerfeindlichkeit' nachströmte, waren Millionen aus einer gänzlich anderen Kultur, die in nichts den völlig berechtigten Eigennutzinteressen des Aufnahmelandes entsprachen, ohne jede Qualifikation waren und nur bedingt integrationsfähig und -willig. Und dazu gewaltige Belastungen der Sozialkasse." Diese eher kühle Beschreibung eines Prozesses ist nicht "rechtsradikalen" Pamphleten entnommen, sondern einer Rede des patentierten Gutmenschen Ralph Giordano, die er auf der Kundgebung gegen den Bau einer Großmoschee am 11. September 2007 halten wollte, die aber aus "Sicherheitsgründen" abgesagt werden mußte. Was Giordano anprangert, ist freilich erst die Stufe zwei unserer Selbstauflösung. Deren Ursprünge liegen, wie die Karlsruher Sozialhistorikerin Heike Knortz in einer aktengestützten Studie nachweist, auch nicht in der profitgierigen Suche westdeutschen Kapitals nach billigen Arbeitskräften, sondern in Initiativen süd­europäischer Regierungen - denen sich Türken, Tunesier und Marokkaner anschlossen -, die hofften, ihre Arbeitsmarkt- und demographischen Probleme mit Bonner Hilfe zu lösen. Um die Nato-Südflanke nicht zu gefährden, machte Bonn das Tor auf. Und versäumte gleichzeitig, die Weichen für ein "stärker technikinduziertes Wachstum" zu stellen. Aber das nimmt sich rückblickend heute eher wie der Kollateralschaden einer singulären Katastrophenpolitik aus (Diplomatische Tauschgeschäfte. "Gastarbeiter" in der westdeutschen Diplomatie und Beschäftigungspolitik 1953-1973. Böhlau Verlag, Köln 2008, broschiert, 248 Seiten, 32,90 Euro).

 

Spekulanten. Unter dem Pseudo­nym "City Boy" hat der zuletzt bei der Investmentbank Dresdner Kleinwort tätige Analyst Geraint Anderson die Erfahrungen seiner Londoner Spekulantenjahre zu Papier gebracht (Beer and Loath­ing in the Square Mile. Headline, London 2008, 320 Seiten, 23,73 Euro) - und zu einem so äußerst glücklichen Moment auf den Markt geworfen, daß schon 20.000 Stück verkauft sind. Wer schon immer wähnte, daß London und New York als Pfeiler des Weltfinanzsystems Spielcasinos oder Narrenhäusern gleichen, darf sich bestätigt fühlen, wenn Anderson, freilich, aufs Ganze gesehen, recht karge und sorgfältig anonymisierte Einblicke in den Alltag seiner habgierigen, korrupten, rauschgiftsüchtigen, sexbesessenen, aber stets korrekt gewandeten Truppe gibt, die sich vor allem durch eine jede Vorstellungskraft übersteigende Dummheit für ihre "Jobs" qualifiziert zu haben scheint.

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