© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/08 10. Oktober 2008

Finanzkrise
Renaissance des Staates
Dieter Stein

Plötzlich ist die Begeisterung über den Segen der Globalisierung verflogen: seit die Weltwirtschaft unter den Schockstößen der kollabierenden gigantischen Kreditblase erzittert, einer Kreditblase, die mit deckungslosem Buchgeld aufgepumpt wurde wie die mittels Steroiden grotesk geschwollenen Muskeln gedopter Bodybuilder. Jetzt schreien die Zauberlehrlinge der strauchelnden Finanzwelt wie in Goethes Ballade nach dem "Herrn und Meister", der die "Kernschmelze des Finanzsystems" (Bruno Bandulet) abwenden soll. Zweifellos erleben wir derzeit einen wirtschaftlichen Ausnahmezustand. Wer ist in einer solchen Situation überhaupt noch handlungsfähig, wenn die Vorstände gestern noch allmächtiger Großbanken mit schlotternden Knien dastehen? Bekanntlich definierte Carl Schmitt, souverän sei, "wer über den Ausnahmezustand entscheidet". Und souverän ist jetzt plötzlich nach allem wolkigen Gerede von Supranationalität wieder der Nationalstaat.

Der Staat, der sich einem konkreten Volk verpflichtet fühlt, ist auch weiterhin die im Ernstfall handlungsfähige Einheit - dies beweisen diese Tage. Das bedeutet im Moment, daß - zum Leidwesen unbescholtener Bürger, die nicht mit irgendwelchen "Derivaten" gezockt haben, die vielmehr für ihr Geld hart arbeiten und dieses konservativ anlegen - durch riskante Geschäfte angeschlagene Banken mit dem Geld aller Steuerzahler aufgefangen werden. Mit milliardenschweren Bürgschaften, die im Notfall aus dem Bundeshaushalt bedient werden müssen, wird derzeit die Privatbank Hypo Real Estate gestützt. Hier trifft das bittere Wort von den privatisierten Gewinnen und sozialisierten Verlusten den Nagel auf den Kopf.

Während den Profiteuren des frei flottierenden Kapitals in Zeiten fetter Geschäfte der Nationalstaat ein lächerliches Relikt vergangener Epochen ist, klammern sich im Abwärtssog des kollabierenden Finanzsystems plötzlich die sonst so kosmopolitisch auftretenden Banker wie Ertrinkende an die rettenden Planken des solidarischen Nationalstaates. Das sollten wir im Gedächtnis behalten.

Doch der Staat hat selber beim Pyramidengeschäft mitgemacht. Im Rausch haben Kommunen Eigentum - Wohnungen, Wasserwerke, Straßenbahnen - im Zuge von "Cross Border Leasing" an US-Finanzierer verscherbelt, die jetzt in Schieflage geraten. Nun drohen riesige Nachzahlungen (siehe den Kommentar auf Seite 2).

Gut steht heute nur da, wer im althergebrachten Sinne solide gewirtschaftet hat. Es ist deshalb bedenklich, wie die Gier nach Geld die soziale Gemeinschaft in Geiselhaft genommen hat. Die jetzige Krise kann aber dafür sorgen, daß die Maßstäbe wieder ins rechte Lot geraten. Und die Staaten sind mitschuldig an der Krise. Durch hemmungslose Verschuldung und kontinuierliche Ausweitung der Geldmenge haben sie das spekulative Finanzsystem befeuert, das jetzt auf uns zurückschlägt.

Papiergeld ist nur soviel wert wie das Vertrauen, das die Menschen ihm schenken. Das Vertrauen der Deutschen in das vom Staat garantierte Finanzsystem ist noch da, es zeigt aber erste Risse.

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