© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/08 10. Oktober 2008

Typisch bayerische Hinterfotzigkeit
Bayern: Bei der Nominierung Seehofers als Nachfolger Becksteins denken viele CSU-Politiker vor allem an ihre eigenen Aufstiegschancen
Paul Rosen

Nichts sei in der CSU wichtiger als die regionale und konfessionelle Ausgewogenheit. Einen protestantischen Franken wie Günther Beckstein im katholischen München als Ministerpräsidenten zu installieren, mußte ja schiefgehen, hatten viele Kenner der weiß-blauen Gefilde schon vor einem Jahr gesagt - und recht behalten. Andererseits kam der katholische Niederbayer Erwin Huber im bayerischen Oberland auch nicht an, wie die Wahlergebnisse der CSU mit minus 20 Prozent in dieser Region sehr eindrucksvoll beweisen. Es bedarf offenbar eines Urgesteins mit fester Lederhosen-Verwurzelung bei gleichzeitiger politischer Universalität. Diese eierlegende Wollmilchsau glaubt eine Mehrheit in Horst Seehofer gefunden zu haben. Es ist natürlich auch Heimtücke im Spiel: Wenn Seehofer aus Berlin fortgeht, werden Posten frei, hoffen potentielle Nachfolger.

Die CSU hat in den vergangenen Tagen ein Schauspiel aufgeführt, das selbst besseren Dramaturgen nicht eingefallen wäre. Innerhalb weniger Tage erledigten die Christsozialen ihren Parteivorsitzenden und den Ministerpräsidenten sowie die Generalsekretärin der Partei, deren Namen sich schon vorher nur Insider merken konnten. Während der Parteivorsitz so einfach wie ein Schießbudenpreis von der Wiesn an Seehofer geht, wimmelte es für die Nachbesetzung des Ministerpräsidenten-Amtes auf einmal an Kandidaten. Und das ausgerechnet bei der CSU, die in früheren Jahren Bewerber in Hinterzimmern auszukungeln pflegte - wohlgemerkt immer einen Kandidaten pro Amt, das zu vergeben war. Plötzlich kommt die Vielfalt wie die Alpenveilchen im Frühling.

Große Strömungen in der CSU setzen jedoch auf ein anderes Prinzip. "Partei und Land Hand in Hand" heißt es und bedeutet, daß Seehofer beides machen soll: Parteivorsitz und Ministerpräsident. Von dieser Bündelung der Kräfte verspricht man sich eine Renaissance der alten Werte und des alten weiß-blauen Reiches: Mächtig wie in den vergangenen zehn Jahren unter Strauß oder wie unter Stoiber will man wieder sein, in Berlin wieder angstvoll respektiert statt nur noch geduldet sein. Der bayerische Löwe soll wieder brüllen und mit scharfen Tatzen nach der Kanzlerin schlagen. Nie wieder soll eine Angela Merkel auf Wahlkampfabschlußkundgebungen der CSU sprechen dürfen, wenn man einen wie den Seehofer Horst hat, der locker die große Viehhalle in Passau füllt - und zwar nicht mit Rindviechern, sondern mit überzeugten Menschen, die die Botschaft der CSU weitertragen wie einst die frühen Christen die Heilslehre Jesu.

Die CSU ist wie ganz Bayern föderal aufgebaut. Die Stämme des Landes organisieren sich in den Bezirken, wobei die Franken gleich drei Bezirke haben und die Münchner auch einen, obwohl sie kein eigener Stamm sind. In der CSU konnte meist nur der was werden, der in den Bezirksverbänden verankert war. Das ist Seehofer übrigens gerade nicht. Der Weltenbursch galt bestenfalls als "Bonner" oder jetzt als "Berliner" - und das ist vermutlich der Hauptgrund, warum sich die Parteibezirke auf Seehofer geeinigt haben. Er bringt das fein austarierte Verhältnis nicht durcheinander, so wie die Franken Beckstein und Joachim Herrmann (Innenminister) zuviel für die Oberbayern im Süden waren. Besonders wichtig ist der oberbayerische Bezirksverband, der auf Parteitagen die mit Abstand meisten Delegierten stellt. Diesem Bezirksverband gehört Seehofer zwar an, aber jeder weiß, daß dem auf der Berliner Bühne stehenden Landwirtschaftsminister das Bezirkstheater Oberbayern immer egal war.

Es gibt nicht wenige, die Wissenschaftsminister Thomas Goppel bis zu seinem und Herrmanns Verzicht auf eine Kandidatur am Dienstag für den besseren Ministerpräsidenten gehalten hätten. Goppel hatte seine große Zeit als Generalsekretär der Partei unter Theo Waigel. Er überlebte die auf Stoibers Sieg gegen Waigel folgenden Säuberungen und wurde sogar Minister. Auf Herrmann setzten faktisch nur Franken.

Seehofer hat sich sehr klug verhalten, indem er nicht den Hut vorschnell in den Ring warf, sondern wartete, bis er gerufen wurde. Somit kann er sich bei allem Elend in seiner Partei ob der Stimmenverluste vom 28. September als einziger Wahlsieger fühlen. Ob er die CSU wieder zu altem Glanz führen kann, muß sich zeigen. Vor einem Jahr entschied sich eine Mehrheit der Parteitagsdelegierten auch deshalb für Huber, weil sie Seehofer die für den Vorsitz notwendige Teamfähigkeit und Verläßlichkeit nicht zubilligen wollten und das Wertefundament vermißten. Zu viele hatten schlechte Erfahrungen mit dem Landwirtschaftsminister gemacht, der gerne schnell Zusagen macht, dann aber von einer bei ihm gehäuft auftretenden Vergeßlichkeit befallen wird. Seehofer zu wählen, bedeutet natürlich ein hohes Maß an politischer und sonstiger Unterhaltung, aber zugleich das Risiko, daß ein grundsatzloser Weltenwanderer jetzt das Zepter erhält, obwohl er als linker Flügelmann mit sozialem Gewissen eingeordnet wird - was aber nur auf den ersten Blick zutrifft.

Die Berliner CSU-Landesgruppe der Bundestagsabgeordneten reagierte mit typisch bayerischer Hinterfotzigkeit: Sie will Seehofer als Ministerpräsidenten in München haben, weil dann in Berlin Posten zu besetzen sind. Der Staatssekretär wird Minister, ein Arbeitsgruppenvorsitzender beerbt den Staatssekretär, ein anderer zieht auf den Platz in der Arbeitsgruppe hinterher. Das ist der beliebte Kamineffekt, den die CSU in den vergangenen Jahren zu selten spüren durfte und der Politik so schön macht.

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