© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/08 17. Oktober 2008

Das Imperium fällt zurück
Weltwirtschaft: Das Ende der Dollar-Hegemonie und die Krise des globalisierten Kapitalismus
Alain de Benoist

Der Kapitalismus, heißt es häufig, ist synonym mit der Krise, er speist sich aus den Krisen, die er hervorruft, und zeigt so, daß er unzerstörbar ist. Allerdings muß zwischen zyklischen, konjunkturellen und systemischen, strukturellen Krisen wie der Großen Depression nach 1929 unterschieden werden. Bei der derzeitigen Finanzkrise handelt es sich zweifelsohne um eine strukturelle Krise, eine Bruchstelle im dynamischen Zusammenspiel des gesamten Systems. Im Grunde stehen wir sogar vor einer dreifachen Krise: einer Krise des kapitalistischen Systems, der liberalen Globalisierung und der amerikanischen Hegemonie.

Die gängigste Erklärung lautet, die Verschuldung amerikanischer Privathaushalte durch Hypotheken (die berüchtigten "Subprimes") sei schuld an den Problemen der Finanzmärkte. Aber warum sind sie überhaupt so hoch verschuldet?

Ein herausragendes Kennzeichen des "Turbokapitalismus" ist die totale Herrschaft der Finanzmärkte. Dadurch gehört die Macht erst recht denjenigen, die das Kapital besitzen. Insbesondere gilt das für Aktionäre, die eigentlichen Besitzer der börsennotierten Unternehmen. Sie sind einzig darauf erpicht, aus ihren Investitionen möglichst schnell möglichst viel Gewinn zu erzielen. Also drängen sie auf Kürzungen der Löhne und Gehälter und auf opportunistische Standortverlagerungen in Schwellenländer, wo eine hohe Produktivität gepaart ist mit niedrigen Lohnkosten. Der auf diese Weise erzielte Mehrwert kommt überall den Investoren und nirgends den Arbeitnehmern zugute, und das wiederum führt dazu, daß Kaufkraft und Nachfrage weltweit stagnieren oder sinken.

Die Strategie des Kapitals besteht gegenwärtig darin, die Löhne immer weiter nach unten zu drücken, den Arbeitsmarkt immer prekärer zu gestalten. Daraus folgt eine relative Verarmung der Unter- und Mittelschichten, denen keine andere Hoffnung auf Erhalt ihres Lebensstandards bleibt, als sich trotz ihrer geringeren Kreditwürdigkeit zu verschulden. In den USA wurde diese Entwicklung gefördert, indem die Banken immer günstigere Kreditbedingungen anboten, ohne sich darum zu scheren, ob diese Kredite jemals zurückgezahlt werden könnten. Die abnehmende Kaufkraft, die durch den Druck auf die Löhne und Gehälter entstanden war, sollte also mit Hilfe einer verstärkt arbeitenden Kreditmaschine ausgeglichen werden. Mit anderen Worten, anstatt die solvente Kaufkraft zu stimulieren, wurde der Konsum durch Kredite angekurbelt.

Eben daher rührt die gigantische Verschuldung amerikanischer Privathaushalte, die seit jeher lieber konsumieren als sparen. Heute entspricht diese Summe in etwa dem Bruttoinlandsprodukt von dreizehn Milliarden Dollar.

Um es noch schlimmer zu machen, hat man angefangen, mit "faulen Schulden" zu spekulieren. Die "Verbriefung" von Schulden, eine weitere wichtige Errungenschaft des Nachkriegskapitalismus, besteht in der Tranchierung der Schulden einer Bank oder Kreditgesellschaft. Solche Obligationen - mit anderen Worten: das Risiko - werden dann an Finanzinstitute weiterverkauft, die mit Investmentfonds handeln. So entsteht ein riesiger Kreditmarkt, der eigentlich ein Risikomarkt ist. Der Zusammenbruch ebendieses Marktes hat die gegenwärtige Krise ausgelöst.

Sie ist aber auch eine Krise der liberalen Globalisierung. Über ihre unmittelbare Ursache hinaus stellt die Finanzkrise das Ergebnis einer vierzig Jahre lang vorangetriebenen Deregulierung im Namen eines globalisierten Wirtschaftsmodells nach liberalen Vorstellungen dar. Erst die Ideologie der Deregulierung hat die hohe Verschuldung überhaupt ermöglicht. Daß schwere Krisen beinahe sofort den gesamten Planeten in Mitleidenschaft ziehen, daß sie sich nach Art eines Virus verbreiten können, ist ebenfalls der Globalisierung zu verdanken. Darin liegt der Grund, daß die amerikanische Krise so schnell die europäischen Finanzmärkte erreichte - mit sämtlichen Folgen, die eine derartige Schockwelle zu einem Zeitpunkt nach sich zieht, da sich die amerikanische und europäische Wirtschaft sowieso am Rande einer Rezession, wenn nicht gar einer Depression befanden.

Schließlich darf man auch nicht vergessen, daß diese weltweite Krise ihren Ursprung in den USA hat, in einem Staat also, dessen Gesamtverschuldung (öffentliche Verschuldung plus Verschuldung der Privathaushalte plus Verschuldung der Unternehmen) derzeit 410 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beträgt - das Rettungspaket von Finanzminister Paulson verschlimmert das Defizit weiter!

Unter diesen Umständen muß das Vertrauen in den Dollar sinken, und ein weiterer Kursverlust ist abzusehen. Die Doppelrolle des Dollar als Nationalwährung und internationale Rechnungseinheit, deren Bindung an den Goldstandard zudem seit 1971 aufgehoben ist, hat den USA ermöglicht, ihre Hegemonie zu festigen und dabei kolossale Handelsdefizite anzuhäufen. Dies ist ihnen gelungen, indem sie ihre Schuldpapiere systematisch in Staaten exportierten, die ihrerseits Überschüsse erzielten. Zukünftig wird die Verunsicherung der großen öffentlichen und privaten Fonds vor allem in Asien, die beachtliche Mengen öffentlicher und halböffentlicher amerikanischer Schuldpapiere (Staatsobligationen etc.) besitzen, einen entscheidenden Faktor darstellen. Derzeit bestehen weltweit 70 Prozent aller Auslandsreserven aus US-Dollar, ohne daß diese Summe noch in irgendeinem Bezug zum realen Volumen der US-Volkswirtschaft stünde. Es ist keineswegs auszuschließen, daß die erdölexportierenden Staaten in den kommenden Jahren zum Euro als Leitwährung wechseln. Langfristig könnte dies dazu führen, daß Staaten wie China und Rußland den USA auch als Garanten der internationalen Finanzordnung Konkurrenz machen oder gar eine Alternative zu ihr entwerfen. George Soros warnte bereits im Frühjahr, daß die Ära des Dollar ihrem Ende zugeht.

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