© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/08 17. Oktober 2008

Frisch gepresst

Made in China. Im Jahre 1971 importierten die USA erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg mehr Güter als sie exportierten. Seither hat sich - dank der ungebremsten Flut von überbewerteten Papier-Dollar - ein strukturelles Handelsbilanzdefizit von jährlich etwa 800 Milliarden Dollar aufgebaut. Die weitaus größten Exportdefizite entfallen auf den Bereich Automobile, Öl und Konsumgüter. Letztere kommen inzwischen überwiegend aus China. Und schon vor der Finanzkrise forderten daher linke Gewerkschafter ebenso wie rechte US-Patrioten: "Buy American!" Aber geht das überhaupt noch? Diese Frage stellte sich die US-Wirtschaftsjournalistin Sara Bongiorni. In ihrem Buch "Ein Jahr ohne 'Made in China'. Eine Familie - ein Boykott - ein Abenteuer" (Wiley-VCH Verlag, Weinheim 2008, gebunden, 262 Seiten, 19,90 Euro) schildert die Ehefrau und Mutter dreier Kinder auf unterhaltsame Weise ihren Selbstversuch, bei dem sogar "Made in Europe" oder "Made in Japan" erlaubt waren. Ihr sarkastisches Fazit: "Was ich herausgefunden habe, ist, daß man immer noch ohne chinesische Produkte leben kann, vor allem, wenn man keinen rebellierenden Ehepartner und keine Kinder hat und nicht auf billige Schuhe und Elektronik fixiert ist."

Heinrich Himmler. Die tausendseitige Biographie des Reichsführers-SS, nach jahrelanger Puzzelei präsentiert von Peter Longerich, ist beim zeithistorischen Kollegen Frank Bajohr nicht eben auf enthusiastische Zustimmung gestoßen. In der Literarischen Welt moniert Bajohr die mangelnde "analytische Tiefenschärfe" des Opus. Das heißt den Bogen freilich etwas zu überspannen. Denn das bewältigungsideologisch konditionierte Gros bundesdeutscher Zeithistoriker wird nicht unbedingt für analytischen Scharfsinn bezahlt. Daher wäre das Opus nur an den verbindlichen Standards zu messen, Aktenfunde ins bewährte Deutungsmuster zu pressen. Und das ist dem Autor, aus dem Institut für Zeitgeschichte hervorgegangen und nun Direktor an einem Londoner "Holocaust Research Center", wohl gelungen. Freilich sind dabei irritierende Ungleichgewichte entstanden. So scheint er dem gebrochenen Verhältnis zur Damenwelt, das den Münchner Landwirtschaftsstudenten Himmler um 1920 mehr beschäftigte als die Politik, größere Aufmerksamkeit zu gönnen als der "Endlösung", über die Longerich angesichts Kubikmetern von Literatur allein aus dem letzten Jahrzehnt freilich auch nur noch Forschungsreferate zu liefern vermag (Heinrich Himmler. Biographie. Siedler Verlag, München 2008, gebunden, 1.035 Seiten, Abbildungen, 39,95 Euro).

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