© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/08 17. Oktober 2008

Frisch gepresst

Helmut Schmidt. Schwer zu sagen, ob es vornehmlich an Helmut Schmidts hohem Alter und dem bevorstehenden 90. Geburtstag oder doch an seinen erfahrungsgesättigten Einsichten und Weisheiten in Zeiten der globalen Finanzkrise liegt, weshalb "der ewige Altkanzler" (taz) in der Öffentlichkeit derzeit eine so augenfällige Wertschätzung erfährt. Sein soeben vorgelegtes Erinnerungsbuch (Außer Dienst. Eine Bilanz. Siedler, München 2008, gebunden, 350 Seiten, 22,95 Euro) ist jedenfalls kurz nach Erscheinen an die Spitze der Bestsellerliste geklettert. In einem Mix aus politischen Analysen, persönlichen Erinnerungen und Anekdoten beschäftigt sich der seit einem Vierteljahrhundert als Mitherausgeber der Zeit tätige Ex-Kanzler darin mit dem Selbstverständnis der Deutschen, ihren historischen Erfahrungen und Zukunftsperspektiven und mit Deutschland als "gefährdeter Nation". Von der heutigen Politikergeneration fordert Schmidt vor allem Pflichtbewußtsein "im Interesse der Nation", das er vor allem in der "Selbsteinbindung Deutschlands in die Gemeinschaft der europäischen Völker" verortet. Doch auch wer nicht in allen Fragen mit seinen Ansichten übereinstimmt, wird nicht umhinkönnen festzustellen, daß Schmidts Sorge erkennbar dem Gemeinwohl gilt. Das allein schon unterscheidet ihn wohltuend von seinen politischen Enkeln.

Hitlers Telefonist. Ralph Giordano, der sich seit langem als der "geborene" Experte in Sachen Nationalsozialismus geriert, hält im Vorwort zu den Erinnerungen von Rochus Misch fest, daß man darin nur etwas über den privaten, den "geschichtsunrelevanten Hitler" erfahre, nichts über den "Schrecken Europas". Dem ist nicht zu widersprechen, wenn der Schlesier Misch, von 1940 bis zum 1. Mai 1945 zum Führerbegleitkommando gehörend, in der Reichskanzlei und den wechselnden Führerhauptquartieren in unmittelbarer Nähe des "Chefs" lebend, vom Hundefreund, Keksvertilger, Handküsser und Plauderer Hitler erzählt. Er bietet Alltagsgeschichte wie schon die Sekretärinnen Traudl Junge und Christa Schröder oder der Luftwaffenadjutant Nicolaus von Below (Der letzte Zeuge. "Ich war Hitlers Telefonist, Kurier und Leibwächter". Pendo Verlag, München 2008, gebunden, 335 Seiten, Abbildungen, 19,90 Euro). Warum diese Beobachtung aus der Schlüsselloch-Perspektive trotzdem binnen kurzer Zeit ein halbes Dutzend Auflagen erlebt, das erklärt Giordanos törichte Formulierung nicht ansatzweise. Ebensowenig wie das trotzig-naive Nachwort-Bekenntnis der Juristin Sandra Zarrinbal, die Misch half, aus seinen Erinnerungen ein Buch zu machen: Für sie bleibe auch der "Mensch" Hitler stets deckungsgleich mit dem "Ungeheuer", weil sich ihr "seit Kindertagen" die "fröhliche Anne Frank" fest eingebrannt habe.

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