© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/08 24. Oktober 2008

"Das ist ein echt globaler Effekt"
Umweltpolitik: Minister Gabriel mahnt, trotz Finanzkrise die Klimakatastrophe nicht zu vergessen / Unklarheiten und offene Fragen
Paul Rosen

Wenn der Kapitalismus schlapp- macht und die Weltwirtschaft zusammenbricht, hat der Klimawandel keine Chance mehr. Noch nie war es im Herbst in der Arktis so warm. Derzeit liegen die Temperaturen fünf Grad über dem Normalwert, warnt der aktuelle Arktisbericht. Die Schmelze der Eisberge habe im vergangenen Jahr einen Rekordwert erreicht, schlagen 46 Wissenschaftler aus zehn Ländern Alarm. Die Eisdecke auf Grönland habe 2007 ein Volumen von 101 Kubikkilometern verloren. Das Wasser des Arktischen Ozeans erwärme sich, sein Salzgehalt sinke.

Doch all das findet in den Nachrichten nicht mehr statt. Bundeskanzlerin Angela Merkel rettet heute nicht mehr auf Grönland das Klima, sondern unter der Rolltreppe deutsche Banken und damit auch die Wirtschaft. Ganz Deutschland zittert jeden Abend vor dem Fernsehschirm, ob die Fonds noch sicher sind oder das Sparbuch am nächsten Tag wirklich noch Wert hat.

Ganz Deutschland? Nein, eine kleine Gruppe leistet Widerstand und schwört auf den Klimawandel als eindrucksvolleres Bedrohungsszenario. Auch in Zeiten der Finanzkrise dürfe die Klimapolitik nicht vernachlässigt werden, forderte Umweltminister Sigmar Gabriel kürzlich in Berlin. Der SPD-Politiker konnte der aktuellen Gemengelage sogar Positives abgewinnen: "Für alle Technologien, die Energie und Rohstoffe effizienter nutzen oder erneuerbare Ressourcen erschließen, wird in den nächsten Jahren ein sehr großer internationaler Markt entstehen. Investitionen in diesen Markt sind allemal lohnender als das, was von Spekulationen abhängt und eine virtuelle Wirtschaft geworden ist."

Zur Verstärkung hatte Gabriel den Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Joachim Schellnhuber, mitgebracht. Der erklärte vor Journalisten und einem betroffen dreinblickenden Umweltminister: "Wir müssen uns auf einen Anstieg des Meeresspiegels um einen Meter noch in diesem Jahrhundert einstellen." Das Grönlandeis schmelze immer schneller und die Gletscher auch. Daß in Norwegen Gletscher wachsen, sagte er aber nicht.

Der Professor für Theoretische Physik hat auch eine Erklärung dafür, daß es angeblich schneller taut. Ursache für das Abschmelzen des Eispanzers und der Gletscher im Himalaya sei der verstärkte Ausstoß von Schadpartikeln durch Chinas Kohlekraftwerke. Dadurch werde das Eis grauer und könne weniger Sonnenlicht reflektieren. "Das ist ein echt globaler Effekt", so der PIK-Chef.

Dumm in diesem Zusammenhang ist nur, daß namhafte Wissenschaftler noch vor Jahren ziemlich Gegenteiliges verkündeten: Damals wurde das Aussterben der Saurier mit ziemlicher Sicherheit auf Staub und Dreck zurückgeführt, den ein auf die Erde gestürzter Meteorit in die Atmosphäre verdampft habe. Dadurch habe sich die Erde abgekühlt, die Photosynthese sei zurückgegangen, und die überwiegend pflanzenfressenden Dinos seien jämmerlich erfroren oder verhungert - vermutlich beides. Demnach müßte der Planet durch den chinesischen Dreck abkühlen und nicht wärmer werden.

Aber zurück zu Schellnhuber, der auch Merkel und die Bundesregierung berät und sich als Vize des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen           (WBGU) einen schönen Posten in Berlin gesichert hat. Konsequent sind die Angaben des Wissenschaftlers nämlich nicht. Anfang des letzten Jahres, der Klimawandel war noch konkurrenzlos, hatte er sich ebenfalls zu Wort gemeldet und ein ganz anderes Bedrohungsszenario aufgemalt: "Wir werden nicht völlig ungeschoren davonkommen." Schellnhuber prognostizierte einen Anstieg des Meeresspiegels bis zum Ende dieses Jahrhunderts im Extremfall um zwei Meter. Inseln könnten verschwinden. Darüber hinaus rechnete er mit einer Versteppung Mitteldeutschlands. Warum es im Westen weiter blühende Landschaften geben soll, blieb unklar. Die Sahara könne aber bis nach Berlin reichen.

Einmal abgesehen davon, daß die ersten Seen in der Sahara entdeckt worden sind, was auf eine Abkühlung schließen läßt und die Versteppung Mitteldeutschlands ausfallen lassen würde, fällt ein weiterer Punkt auf: Schellnhuber hat seine Prognose des Meeresspiegelanstiegs um einen Meter reduziert. Aber trotzdem soll den Leuten eingetrichtert werden, daß der Klimawandel immer schneller voranschreitet. Und noch eines fällt auf: Laut Gabriel sind weltweit 100 Milliarden Euro erforderlich, um den Hitzekollaps der Erde zu verhindern. Sarkastisch könnte man fragen: Warum werden dann 470 Milliarden Euro in das deutsche Bankensystem gepumpt, wenn wir sowieso alle absaufen?

Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU) im Internet: www.wbgu.de

Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) im Internet: www.pik-potsdam.de 

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