© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/08 31. Oktober 2008

Meldungen

Bolivien: Leuchtturm des Sozialismus bezugsfertig

BERLIN. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wie schön, daß es da Lateinamerika gibt, um der europäischen Linken nach ihrem großen - so freilich nicht erwarteten - Kladderadatsch von 1989 wieder eine "historische" Heilsperspektive aufzuzeigen. Entsprechend hymnisch fallen die Beiträge zum Schwerpunktthema "Kehrt die Revolution zurück in Lateinamerika?" im neomarxistischen Argument (3/08) aus. Der am meisten favorisierte sozialistische "Leuchtturm" ist dabei Bolivien. In Isabel Raubers Darstellung scheint der Andenstaat gar kurz vor der Metamorphose ins irdische Paradies zu stehen. In Bolivien baue man an der "multikulturellen Nation", die sich - was Rauber übersieht - ausgerechnet getreu dem US-Wappenspruch "Einheit in der Vielheit" formiere. Im einzigen Land der Welt, in dem eine "soziale Bewegung" zur Macht gelangt sei, zentriere sich Politik nicht mehr auf Staat und Wirtschaft, sondern auf "Geschlecht, Ethnie und Rasse". Jetzt werde das Existenzrecht aller Nationalitäten und Identitäten anerkannt, die sich ohne "Hierarchien und Hegemonien" organisierten. Damit sei das "Ende der Unterdrückung und Ausbeutung" eingeläutet. Die "kapitalistisch-koloniale Hegemonie" werde auch mit "Sabotageakten" der gegen ihre "Entmachtung" kämpfenden "Profiteure der Ausbeutung" nicht wieder restauriert.

 

Zweierlei Erinnerung: Osteuropäische Befunde

BERLIN. Gleich drei Monatshefte von Osteuropa (8-10/08) wurden für den dicken Band "Tradition und Moderne der Juden Osteuropas" zusammengefaßt, dessen wichtigster Teil in der Musterung der "Erinnerungskultur" in Polen, Litauen, Rußland, Ungarn, Rumänien und der Ukraine besteht. Alles in allem stehe es schlecht um sie, da osteuropäische Gesellschaften erkennbar große Probleme damit hätten, "Shoa oder Holocaust" in ihre "nationale Erinnerung" zu integrieren. In Litauen, wo man sich weigere, "mutmaßliche Holocaust-Vebrecher zu verfolgen", und wo kaum jemand die "Mitverantwortung für die Ermordung der litauischen Juden" übernehme, sieht der langjährige Wilnaer Kulturreferent Vytautas Toleikis indes einen Silberstreif am Horizont. Denn im Geschichtsbild der jungen Generation nehme das "jüdische Erbe zunehmend einen festen Platz ein". Damit unterscheide sich Litauen von der Ukraine, wo es erinnerungspolitisch am finstersten aussehe. Für Anatolij Podolskyj tragen seine Landsleute die Schlußlaterne in der gesamteuropäischen "Cooperation on Holocaust Education". In der Ukraine gebe es keine staatlich geförderte, "offizielle Erinnerung an die Shoa". Soweit sie überhaupt den Weg in die Öffentlichkeit finde, müsse sie für eine "völlige unangebrachte Gleichsetzung" mit dem "Hunger-Holocaust" herhalten, mit dem Stalin die Ukraine seit 1930 überzog. In nur einer Schulstunde handle man die "Endlösung" im Rahmen des "NS-Besatzungsregimes" ab, so daß sich die Ukraine heute noch ungebrochen in der "sowjetischen Tradition des Verschweigens des Holocaust" bewege.

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