© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/08 07. November 2008

Ein vergiftetes Erbe
Amerika rechnet ab: Nie hat das Land so sehr nach Wandel verlangt wie nach acht Jahren Bush
Günther Deschner

Nun steht es fest: Am 20. Januar 2009 wird der Demokrat Barack Obama als 44. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ins Weiße Haus einziehen. Vom ersten Tag an wird sich George W. Bushs Nachfolger in keiner beneidenswerten Position befinden. Noch nie hat ein US-Präsident ein von seinem Vorgänger derart ramponiertes Land geerbt: ein von einer entfesselten und unkontrollierten Bankerbranche zugrunde gerichtetes Finanzsystem, eine astronomische Staatsverschuldung von zehn Billionen Dollar, eine Wirtschaft am Beginn einer Rezession und ein Drittel der Bevölkerung ohne Altersversorgung und Krankenversicherung. Billionen wurden in nicht enden wollenden Kriegen in Afghanistan und gegen den Irak verpulvert. Guantánamo und Abu Ghraib, die Foltergesetze, die Gleichgültigkeit gegenüber dem Völkerrecht, die Erosion von Bündnissen und die Ignoranz gegenüber anderen Kulturen machten Bushs Amerika moralisch angreifbar, unglaubwürdig und suspekt. Laut Umfragen waren vor der Wahl auch mehr als vier Fünftel der Amerikaner der Meinung, Bush habe ihr Land in ein heilloses Schlamassel geführt.

In dieser Situation war es für Obama, eine unbelastete, "smarte" und charismatische Führerfigur, ein leichtes, sich mit dem pauschalen Motto vom "Wandel" einem nach Veränderung lechzenden Publikum als Retter anzubieten. Noch vor ein paar Jahren war er ein politischer Niemand. Ohne Bush und die von ihm ausgelöste Frustration wäre wohl nicht einmal eine Kandidatur Obamas möglich gewesen. Doch nie in seiner Geschichte hat dieses Land derart nach Wandel verlangt wie nach acht Jahren Bush. Oba­ma steht für diese Sehnsucht. Insofern könnte er das größte Vermächtnis des texanischen Cowboy-Präsidenten sein.

Der neue Präsident soll die Amerikaner aus diesen Tiefen wieder herausführen. Doch selten oder nie ist ein Mann mit sowenig Erfahrung und magerem Leistungsausweis ins Weiße Haus eingezogen. Luftige Rhetorik wie der eitle Spruch "Wir sind die, auf die wir gewartet haben!", die im Wahlkampf gut ankam, wird ihm ab jetzt nicht mehr helfen.

Sein Sieg ist die Abrechnung der Amerikaner mit einer außer Kontrolle geratenen republikanischen Regierung, mit einem in vielerlei Hinsicht versagenden Staat. Die Erblast Bushs wiegt schwer: Obama wird ein Amerika regieren, das seinen Zenit als hegemoniale Weltmacht, die es nach dem Ende des Kalten Krieges für kurze Zeit geworden war, schon wieder überschritten hat. Die Vision einer unipolaren Welt, in der sich der Globus nach Amerikas Pfeife dreht, ist verblaßt. Auch ohne Bushs Überfall auf Bagdad und die daraus resultierende endlose Verstrickung in den irakischen Sumpf hätte Amerika wegen des Aufstiegs neuer nichtwestlicher Mächte seine abgehobene Weltmachtposition nicht lange bewahren können. Wie hoch Amerikas Verlust an internationalem Ansehen und Durchsetzungsvermögen bereits ist, macht das Verhalten seiner Verbündeten und seiner Rivalen deutlich: Fast alle seiner einst "willigen Partner" im Irak haben ihre Truppen bereits abgezogen oder dies für die nahe Zukunft angekündigt. Der Iran, strategischer Gewinner der Entzauberung Amerikas im Irak, hält trotz unverhüllter US-Drohungen an seiner Atompolitik fest. Rußland, das vor Jahren noch bereitwillig US-Wünsche erfüllte, betreibt heute offenen Widerstand. In Asien orientieren sich traditionelle Verbündete der USA nunmehr am wachsenden Einfluß Chinas. Selbst vor der eigenen Haustür, in Lateinamerika, erleben US-kritische Kräfte ihre Renaissance. 

Mit der Wahl Obamas wird dieser nachhaltige Verlust an Ansehen und Autorität Amerikas in der Welt nicht rückgängig gemacht. Auch der verbindlichere Ton des zukünftigen Präsidenten und die Tatsache, daß nach dem Regierungswechsel der 65 Jahre alte, erfahrene und außenpolitisch mit allen Wassern gewaschene Senator Joe Biden als nächster Vizepräsident der USA vieles ins Amt mitbringen wird, was Obama fehlt, können das nicht grundsätzlich ändern. Dem konfrontativen Stil von George W. Bush konnte Biden wenig abgewinnen. Der Außenexperte versteht die Bedeutung von Amerikas Führungsrolle, kennt aber auch ihre Grenzen. Für ihn steht fest, daß die USA mit ihren Verbündeten enger zusammenarbeiten müssen. Seine Handschrift wird vor allem in jenen Bereichen, in denen Washington und seine Partner nicht unbedingt gleicher Meinung sind, zu spüren sein - also etwa in der Politik gegenüber Rußland, Irak und Iran.

Sowohl Obamas Äußerungen im Wahlkampf als auch Bidens außenpolitische Erfahrung lassen hoffen, daß der nächste Präsident eine pragmatischere und eher multilateral orientierte Außen- und Sicherheitspolitik betreiben wird. Von amerikanischer Seite wird Multilateralismus jedoch leicht eigennützig als Instrument globalen Regierens und des Abwälzens der Kosten auf andere verstanden. Das wird auch unter der Präsidentschaft Obamas nicht anders sein. Es ist also zu erwarten, daß die nächste US-Regierung wieder mehr soft power im Verhältnis zu den Verbündeten einsetzen wird, daß dies aber auch zu massiveren Forderungen nach mehr Geld und mehr Soldaten an die Europäer und auch an Deutschland führen kann.

Berlin darf nicht nur darauf warten, welche Forderungen aus dem Weißen Haus auf Deutschland zukommen. Vielmehr muß die Merkel-Regierung baldmöglichst in eigener Initiative ihre Positionen und Erwartungen an die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit formulieren. Dabei kann nicht die weitere Unterstützung der hegemonialen Stellung der USA im Mittelpunkt stehen, sondern die Bereitschaft zur Mitgestaltung einer multipolaren Weltordnung nach auch eigenen Interessen. Das betrifft vor allem das Verhältnis zu Rußland und die Frage, ob dessen legitime Sicherheitsinteressen nicht höher zu veranschlagen sind als die - wie der Historiker Michael Stürmer es nennt - "hochgefährlichen und zugleich hohlen" Nato-Erweiterungen um Georgien und die Ukraine.

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