© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/08 07. November 2008

Ypsilantiland ist abgebrannt
SPD-Abweichler: Nach dem Scheitern der rot-grün-roten Koalitionspläne steht Hessen vor einer ungewissen politischen Zukunft
Tobias Westphal

Wie ein Lauffeuer sprach sich die Sensation am Montagvormittag in Hessen herum. Das politische Abenteuer der Andrea Ypsilanti ist vorüber, die ehrgeizige SPD-Politikerin ist erneut gescheitert, sich zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen. Vier Landtagsabgeordnete der SPD - Carmen Everts, Dagmar Metzger, Silke Tesch und der hessische SPD-Vize Jürgen Walter - verweigerten aus unterschiedlichen Motiven Ypsilanti die Gefolgschaft und erklärten, diese nicht zur Ministerpräsidentin einer von der Linken tolerierten rot-grünen Minderheitsregierung wählen zu wollen.

Carmen Everts etwa begründete ihren Schritt damit, daß die Linke eine in Teilen linksextreme Partei sei und ein gespaltenes bis ablehnendes Verhältnis zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit habe. Daß die vier Abweichler ihren Schritt mit Gewissensentscheidungen und dem Ziel begründeten, "Schaden vom Land abwenden" zu wollen, trifft bei den eigenen Genossen auf vollkommenes Unverständnis. Allerorts werden Rücktrittsforderungen laut - anderenfalls sollen die Abweichler aus der Partei ausgeschlossen werden. Deren Verhalten sei schließlich "unverantwortlich", "unredlich" und eine "Unverschämtheit" - die SPD-Bundestagsabgeordnete Helga Lopez schließt sogar Bestechung als Grund des Meinungsumschwungs bei drei Abweichlern nicht aus; "Vielleicht stimmten die Silberlinge ja."

Der SPD-Bundesvorsitzende Franz Müntefering selber spricht von einem "Desaster" und kritisierte, daß drei Abweichler "erst wenige Stunden vor der Abstimmung ihr Gewissen entdeckt" hätten. Zudem warf er aber auch Ypsilanti ihren Wortbruch vor: "Man darf vor der Wahl nicht solche Dinge versprechen, wenn man sie hinterher nicht halten kann oder halten will. Das war ganz sicher ein Fehler."

Rückblickend ist es Andrea Ypsilanti nach ihrer Wahl zur SPD-Landesvorsitzenden nicht gelungen, den rechten und den linken Flügel der hessischen SPD hinter ihr zu vereinigen. Daß sie dem stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Jürgen Walter den versprochenen Ministerposten nicht gab oder geben konnte und den Ausbau des Frankfurter Flughafens verzögern wollte, erscheint im nachhinein als schwerer politischer Fehler.

Nun deutet in Hessen vieles auf Neuwahlen hin. In der hessischen Landesverfassung ist ein Selbstauflösungsrecht des Landtages vorgesehen. Demnach müßten Neuwahlen innerhalb von 60 Tage nach der Parlamentsauflösung stattfinden. Über die Selbstauflösung wird wahrscheinlich am 18. November entschieden. Bevor es soweit kommt, möchte der geschäftsführende Ministerpräsident Roland Koch noch einmal "mit allen demokratischen Parteien" sprechen, wie er am Montag ankündigte.

Doch alle möglichen Konstellationen sind nur theoretischer Natur. Eine Koalition aus CDU, FDP und Grünen scheitert an den Grünen. Eine Koalition aus SPD, FDP und Grüne scheitert an der FDP. Zudem sprechen sich die Grünen und die FDP mittlerweile für Neuwahlen aus. Eine Große Koalition aus CDU und SPD ist unwahrscheinlich. Zum einen ist die SPD während des Landtagwahlkampfs angetreten, Koch zu verhindern. Zum anderen müßte sich Ypsilanti damit abfinden, daß sie nicht Ministerpräsidentin würde. Eine lang andauernde Diskussion über die Besetzung der Ministerstellen wäre die Folge - von den inhaltlichen Differenzen ganz abgesehen. Auch eine Tolerierung einer Koalition aus CDU und der FDP durch das Abweichler-Quartett ist ausgeschlossen. Denn diese erklärten, trotz der Nichtwahl von Andrea Ypsilanti sei ihr Wählerauftrag weiter die Ablösung der Regierung Koch.

Somit dürfte es in Hessen zu Neuwahlen kommen. Die CDU und die FDP haben dafür die beste Ausgangsbasis. "Stimmenneutral" könnte es für die Grünen ausgehen, denn diese haben sich am derzeitigen politischen Debakel wenig vorzuwerfen. Ob die Linkspartei bei einer kommenden Wahl wieder in den Landtag einzieht, ist ungewiß. Schwierig wird es für die SPD. Um einen Wahlkampf mit einem glaubwürdigen SPD-Spitzenkandidaten führen zu können, müßten sie Andrea Ypsilanti als Spitzenkandidatin ablösen. Doch ein Nachfolger ist nicht in Sicht.

Foto: SPD-Abweichler Metzger, Walter, Tesch und Everts (v. l. n. r.): "Vielleicht stimmten die Silberlinge ja"

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