© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/08 07. November 2008

Geschmackloser Leichenschmaus
Trauer um Tempelhof: Nach 85 Jahren stellte der älteste Verkehrsflughafen der Welt vorige Woche seinen Betrieb ein
Fabian Schmidt-Ahmad

Ein sozialistischer Dramaturg hätte den letzten Akt nicht besser inszenieren können: Während die höhere Gesellschaft mit Hirschkeulenbraten und weißem Burgunder an lilienweißen Tischdecken tafelte, stand vor Absperrgittern murrend das Volk, die in der Dunkelheit leuchtenden Kerzenflammen vor eisigem Regen schützend. Doch als vergangene Woche der weltälteste Verkehrsflughafen in Berlin-Tempelhof nach 85 Jahren seinen Dienst einstellte, war die Rollenverteilung etwas durcheinandergeraten. Denn in der Art-Déco-Abfertigungshalle feierte SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit sich und seinen Sieg der Flughafenschließung, die er mit seinem sozialistischen Koalitionspartner und den Grünen durchsetzte; gegen die Meinung von Wirtschaftsexperten und den Umfragen nach einer Mehrheit Berliner Bürger. Denn für diese ist der Flughafen schon längst zum Mythos geworden, Symbol ihres eigenen Durchhaltewillens: "Frontstadt Berlin" - Selbstbewußtsein schwingt hier mit, das sich nicht gerne bevormunden läßt.

Verständlich daher, daß Wowereit auch eine öffentliche Abschiedsfeier zu verhindern wußte. Aber der "Partymeister" hätte wohl besser der Versuchung einer Privatfeier widerstehen sollen. Denn viel Freude an dem geschmacklosen Leichenschmaus dürfte er nicht gehabt haben. Selbst die geladene Hautevoleé störte mit Buhrufen seine Rede oder war demonstrativ erst gar nicht gekommen. Auch der Sitz des amerikanischen Botschafters blieb leer. So entgingen diesem Wowereits Erkenntnisse wie: "Von Flughäfen sind auch mörderische Aktionen ausgegangen." Von Regierungsschreibtischen allerdings auch.

"Wir trauern - Ohne Not mußt du nun sterben", stand auf einem Schild, das eine Demonstrantin an ihrem Rollstuhl befestigt hatte. Aber ein anderes Transparent prophezeite: "Tempelhof bleibt - Wowereit 'fliegt'" Was ist auch schon ein eitler Selbstdarsteller gegen 85 Jahre Geschichte.

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