© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/08 14. November 2008

Dummer Michel!
Beutekunst: M. Naumann kaschiert eigenes Versagen
Thorsten Hinz

Der ehemalige Kulturstaatsminister und aktuelle Zeit-Mitherausgeber Michael Naumann war Ende Oktober nach Berlin zu einem "Deutsch-Russischen Museumsdialog" zu Füßen des Pergamonaltars geladen. Der fünfzigste Jahrestag der Rückgabe von 1,5 Millionen konfiszierter Kunstwerke durch die Sowjetunion an die DDR sollte gefeiert werden - auch um den Weg für die Rückführung der noch in Rußland lagernden Beutekunst zu bereiten. Doch Festredner Valentin Falin, der frühere Botschafter in Bonn, erwies sich als knallharter Vertreter russischer Macht. Eine Rückgabe komme nicht in Frage. Den Russen werde ein "Raub" unterstellt, während die Amerikaner die Kunstwerke "geborgen" oder "gerettet" hätten. Solange Deutschland solche Unterschiede mache, habe es die Rückgabe überhaupt nicht verdient.

In seinem Hausblatt schimpft Naumann über Rußlands Intransigenz und die "politische Naivität" der Veranstalter, die sich in Falin verschätzt hätten. Der Vorwurf fällt auf Naumann zurück, weil er außer acht läßt: Die Bundesregierung hat es in der Schwächephase Rußlands unter Gorbatschow und Jelzin und trotz Milliardenzahlungen an Nachdruck fehlen lassen, um das Beutegut zurückzuerlangen. Unter Putin und Medwedjew fühlt Rußland sich wieder stark und benutzt die Beutekunst als Druckmittel. Als Zeichen seines erneuerten Machtstatus verlangt es von Deutschland die gleiche Unterwürfigkeit wie gegenüber den USA. Die kostbaren Handschriften aus der Landes- und Murhardschen Bibliothek in Kassel zum Beispiel oder der Quedlinburger Domschatz, die 1945 in die USA gelangt waren, mußten von dort teuer zurückgekauft werden. Nur ganz selten und mit wenig Erfolg erhebt die Bundesregierung Klage, wenn Auktionen in New York und London Beutekunst aus Deutschland feilbieten.

Naumann will sein eigenes Versagen kaschieren, indem er die politische Dimension ignoriert. Denn er trägt die Verantwortung dafür, daß in der "Washingtoner Erklärung" die Restitutionsansprüche gegen Deutschland durch eine simple Begriffsänderung erweitert wurden. Sollten zunächst nur "von den Nationalsozialisten beschlagnahmte Kunstwerke" rückerstattet werden, ist in der Endfassung von "NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut" die Rede. Damit wurde den Ansprüchen gegen deutsche Museen Tür und Tor öffnet. Nun stellt er enttäuscht fest, daß ihm bei der Neuerfindung des Politischen und des internationalen Rechts aus dem Geist der deutschen Hypermoral niemand gefolgt ist. Politisch ist der schlaue Herr Naumann eben doch bloß der dumme Michel!

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