© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/08 28. November 2008

Widerstand gegen Zwangsfach wächst
Berlin: Kirchen und Religionsgemeinschaften werben um Zustimmung für ein Volksbegehren für den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen
Ekkehard Schultz

Wird es das Berliner Aktionsbündnis "Pro Reli" schaffen, im kommenden Jahr einen landesweiten Volksentscheid über die freie Wahl des Religionsunterrichtes an den Schulen der deutschen Hauptstadt durchzusetzen? Die Voraussetzung für ein solches Votum ist, daß bis zum 21. Januar 2009 mindestens 170.000 wahlberechtigte Berliner dieses Anliegen mit ihrer Unterschrift unterstützen.

Um diese Hürde zu nehmen, erhöhen die Mitglieder von Pro Reli in der Vorweihnachtszeit ihre Aktivitäten: Zahlreiche Freiwillige bemühen sich darum, möglichst viele Bürger zu überzeugen. Daneben laden die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland Anfang Dezember zu einem deutschlandweiten Forum ein. Dort soll über die grundsätzlichen Fragen des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen debattiert werden.

Anlaß der Gründung der Initiative Pro Reli war der Beschluß der Berliner Regierung aus SPD und Linkspartei, im Schuljahr 2006/07 zunächst für die Klassen sieben bis zehn Ethik als Pflichtfach einzuführen. Damit besteht keine freie Wahlmöglichkeit zwischen dem Religions- und dem Ethikunterricht mehr. Seither müssen Schüler, die dennoch den Religionsunterricht besuchen wollen, dieses Fach zusätzlich in den Wochenstundenplan einfügen.

Die Kirchen sehen darin eine deutliche Benachteiligung gegenüber Kindern aus atheistischen beziehungsweise religionslosen Elternhäusern. Viele Schüler meldeten sich seither nicht mehr zum Religionsunterricht an, um einer Zusatzbelastung und Benachteiligung gegenüber ihren Klassenkameraden zu entgehen. Pro Reli bezeichnet daher das "Zwangsfach Ethik für alle" als "Bevormundung" und beruft sich auf den im Grundgesetz garantierten Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen.

Einen ersten Erfolg auf dem Weg zu einem Volksbegehren hat Pro Reli bereits erreicht. Im Sommer konnten dem Berliner Senat 34.472 gültige Unterschriften vorgelegt werden. Dadurch ist das Abgeordnetenhaus verpflichtet, innerhalb von vier Monaten den Forderungen der Anhänger schulischen Religionsunterrichts zu entsprechen und einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Eine Mehrheit für diesen Entwurf ist allerdings unwahrscheinlich. So wies Innensenator Ehrhart Körting (SPD) darauf hin, daß die praktische Umsetzung "wenig wahrscheinlich" sei, da sich die rot-dunkelrote Koalition für den verbindlichen Ethikunterricht entschieden habe.

Daher hat sich Pro Reli, zu dessen Mitgliedern nicht nur die Kirchen, sondern auch die Jüdische Gemeinde und der Dachverband Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Regionen zählen, dafür entschieden, mit einer zweiten Unterschriftensammlung die Voraussetzung für eine Abstimmung der Wähler über das Gesetz zu schaffen. Dafür liegt die Hürde mit 170.000 notwendigen Unterschriften allerdings deutlich höher. Dennoch ist Pro Reli davon überzeugt, das Ziel zu erreichen.

Bischof Wolfgang Huber hat daher angekündigt, alle Mitglieder der evangelischen Landeskirche in Berlin persönlich anzuschreiben, um sie zur Teilnahme am Volksbegehren zu ermuntern. Ein vergleichbares Schreiben möchte sein Amtskollege Georg Kardinal Sterzinsky allen Katholiken in der Hauptstadt zukommen lassen. Mittlerweile kann Pro Reli auch in der SPD auf eine zunehmende Anzahl von  Befürwortern für ihr Anliegen setzen. So sprach sich am vergangenen Donnerstag die SPD-Vizechefin Andrea Nahles für die freie Wahl zwischen Ethik- und Religionsunterricht aus: "Wahlfreiheit bedeutet auch, Raum zu schaffen für eine echte Wahl", so Nahles. Es sei wichtig, sich wieder stärker auf menschliche Werte jenseits vom Leistungsdenken zu besinnen.

Nur die Linkspartei setzt sich weiter geschlossen für die Beibehaltung der derzeitigen Regelung ein. So fordern Politiker der Linksaußenpartei, auch in anderen Bundesländern einen verpflichtenden Ethikunterricht durchzusetzen. Auf dem Landesparteitag in Thüringen etwa wurde bereits über einen entsprechenden Antrag zu einer Schulgesetzänderung im Freistaat diskutiert.

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