© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/08 28. November 2008

Rot-schwarze Zwangsehe vollzogen
Österreich: Überraschend schnell haben sich SPÖ und ÖVP auf eine erneute Koalition geeinigt / Krisenbekämpfung mit Milliardenschulden
Peter Wassertheurer

Österreich hat endlich eine neue Regierung, angeführt erwartungsgemäß von Werner Fay­mann (SPÖ), der bislang Verkehrsminister war. Mit der Neuauflage der Großen Koalition scheint in Österreich nach der Wahl vom 28. September alles beim alten geblieben zu sein. Doch mitnichten - Faymanns Regierung aus SPÖ und ÖVP stellt nämlich nur mehr 59 Prozent der Abgeordneten und verfügt so im österreichischen Nationalrat über keine Zweidrittelmehrheit mehr. Die Koalition kann folglich keine Gesetze ohne eventuelle Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof (VfGH) beschließen. Der Machtverlust für die beide Regierungsparteien könnte der Demokratie in Österreich aber guttun, denn künftig wird man sich im Parlament mehr um die Opposition - FPÖ, BZÖ oder Grüne - bemühen müssen.

Die neuen Mehrheitsverhältnisse sind das Resultat der von der ÖVP mutwillig herbeigeführten vorgezogenen Nationalratswahl (JF 42/08). Dabei mußten sowohl SPÖ als auch ÖVP reichlich Federn lassen: Die SPÖ stürzte von 35,3 auf 29,3 Prozent ab, die ÖVP von 34,3 auf 26 Prozent. Ihre Stimmen wanderten mehrheitlich zur FPÖ (17,5 Prozent) und zu Jörg Haiders Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ/10,7 Prozent). Die Grünen hatten mit 10,4 statt 11,1 Prozent nur leichte Verluste zu verzeichnen. Faymanns Festlegung, nie und nimmer mit den Freiheitlichen eine Regierung zu bilden, ließ wenig Spielraum für Koalitionsspekulationen. Rein inhaltlich wäre dies (sieht man von Fragen wie Zuwanderung ab) weniger problematisch gewesen, als es scheint - die stabile und nur im Ausland angefeindete Dreier-Koalition des slowakischen Postkommunisten Róbert Fico aus Sozialdemokraten, Rechts- und Linksnationalen lieferte einen Präzedenzfall für die EU.

Die SPÖ aber streute der ÖVP Blumen, und deren neuer Obmann Josef Pröll begann sich möglichst teuer zu verkaufen. Die Volkspartei pokerte hoch und brachte dabei immer wieder die FPÖ/BZÖ-Option ins Spiel. In Wirklichkeit war das Schielen nach rechts lediglich ein Druckmittel für die Verhandlungen. Schwarz-Blau-Orange stand nie ernsthaft zur Diskussion. Angesichts der Finanzkrise (JF 46/08) und spätestens nach dem Tod Haiders (JF 44/08) lenkte die ÖVP endgültig ein.

Ihr wäre als Alternative nur der Weg in die Opposition geblieben, was eine rote Minderheitsregierung sowie baldige Neuwahlen zur Folge gehabt und die ÖVP zur mittelgroßen Partei degradiert hätte. Zwischen Faymann und Pröll herrschte eine faire Gesprächsbasis. Beide hatten bereits in der letzten Regierung als Feuerwehr fungiert. Wann immer es sich in der Koalition spießte, bogen Faymann und Pröll die Sache wieder gerade.

Krisenmanagement bewiesen die Parteichefs nun auch bei den jüngsten Streitpunkten Europa- oder Gesundheitspolitik. Pröll opferte seine Außenministerin Ursula Plassnik, eine Gegnerin jeder Volksbefragung bei EU-Verträgen. Faymanns plötzliche Sympathie für solche Referenden hatte ja im Sommer der ÖVP den Anlaß für den Koalitionsbruch geliefert. Den Konflikt um die Gesundheitsreform löste man durch einen Tausch: Diese Bereiche wanderten zur SPÖ, die ÖVP bekam das Justizministerium. Die SPÖ betreut zudem die Bereiche Frauen, Arbeit, Soziales, Verkehr, Unterricht und Verteidigung. Die ÖVP ist für die Finanzen, die Innen- und Außenpolitik, Justiz, Landwirtschaft und Wissenschaft zuständig. Beide Parteien erhalten zusätzlich je zwei Staatssekretäre.

Wird diese Regierung länger als ihre Vorgängerin halten? Faymann jedenfalls sprach von einem neuen "Teamgeist", Pröll vom Wunsch nach Zusammenarbeit. Die Überlebenschancen bestimmen die Sozialpartner. Kanzler Alfred Gusenbauer hatte den mächtigen ÖGB nach Pleite der Gewerkschaftsbank Bawag (JF 31/06) isoliert und so sein eigenes Grab geschaufelt. Daß jetzt ÖGB-Präsident Rudolf Hundstorfer Arbeitsminister wird, zeugt von einem neuen Selbstbewußtsein der Gewerkschafter. SPÖ und ÖVP setzten auf Instrumente der Nachkriegsjahrzehnte - inklusive dem rot-schwarzen Proporz. Beide teilen sich nun wieder einträchtig die Macht.

Das Regierungsprogramm liest sich wie eine Anleitung zur harmonischen Partnerschaft. Man verspricht zwei Konjunkturpakete, sichere Pensionen, eine medizinische Versorgung auf hohem Niveau und den Ausbau von Sozialleistungen - und das bei klammen Krankenkassen, einem Rekord an Frühpensionen, wachsender Arbeitslosigkeit und steigender Staatsverschuldung.

Das SPÖ/ÖVP-"Regierungsprogramm 2008 - 2013" im Internet: www.spoe.at/bilder/d268/Regierungsprogramm.pdf

Foto:  Pröll (ÖVP) und Faymann (SPÖ): "Österreich in den nächsten fünf Jahren weiter nach vorne bringen"

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