© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/08 05. Dezember 2008

Parteitag der peinlichen Stille
CDU: Nur Friedrich Merz reißt die Delegierten in Stuttgart aus ihrer Lethargie / Von Aufbruchsstimmung ist nicht viel zu spüren
Hinrich Rohbohm

Die Tagesordnungspunkte sind mit Bedacht gesetzt. Erst zum Ende des CDU-Bundesparteitags kann die Blockflöten-Problematik diskutiert werden. Da ist der neue Bundesvorstand längst gewählt - inklusive seiner Funktionäre mit unrühmlicher DDR-Vergangenheit. Mit Maria Michalk, Eva-Maria Wybrands sowie Jürgen Seidel kandidierten neben Dieter Althaus drei weitere Mitglieder, die bereits vor der Wende 1989 der linientreuen CDU-Blockpartei der DDR angehörten.

Auffällig: Gerade jene Kandidaten sind es, die in ihren Vorstellungsreden vor den 1.001 Delegierten in der Stuttgarter Messehalle immer wieder betonen, man dürfe nicht zulassen, daß die Linkspartei die DDR-Vergangenheit verkläre. Ein derartiges Verhalten war in der Union wenige Jahre nach der Wiedervereinigung noch als Wendehals-Mentalität verpönt. Doch seit Angela Merkel - selbst einst FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda und enge Mitarbeiterin des Stasi-IM Wolfgang Schnur - die Parteiführung übernommen hat, sind derartige Biographien zunehmend verharmlost worden. Bei manch einem Delegierten ist heute gar Verständnis für die Blockflöten vorhanden - ein Verständnis, das jedoch im krassen Gegensatz zur Unions-Kritik an der Linkspartei und deren Verklärung der DDR-Geschichte steht. Und das die CDU in eine Glaubwürdigkeitskrise führen könnte, wenn sie im Bundestagswahlkampf gegen die Linkspartei zu Felde ziehen will.

"Geteilt. Vereint. Gemeinsam", nennt sich der Antrag des CDU-Bundesvorstands zu diesem Thema. Er ist genauso nichtssagend und inhaltsleer wie das Motto des Parteitags: "Die Mitte. Deutschlands Stärke." Worte, die zur Rede der Parteivorsitzenden passen. Auch ihre Botschaften bleiben in weiten Teilen vage und inhaltsleer. "Wir wollen, daß Deutschland stärker wird", ist von ihr zu hören. "Wir wollen uns alle Optionen offenhalten": Sätze, die auch in jeder anderen Partei hätten fallen können.

Beliebigkeit ist Trumpf. Von enthusiastischer Aufbruchsstimmung ist im Saal nichts zu spüren. Während Merkels Rede herrscht eine fast schon peinliche Stille. Hier und da vereinzelter, verhaltener Beifall. Von einer motivierenden Einstimmung auf das kommende Bundestagswahljahr sowie die Hessen-Wahl ist nichts zu spüren.

Am Ende der Rede stehen die Delegierten trotzdem alle auf, applaudieren der Kanzlerin. Es wirkt zwanghaft: ein Klatschen aus Pflichtgefühl. Merkel wird dennoch mit einem sehr guten Ergebnis wiedergewählt. Mehr als 94,8 Prozent votierten für die Kanzlerin. Das ist sogar mehr als vor zwei Jahren, als Merkel 93 Prozent erhielt. In der Partei weiß man: Mit einem Denkzettel für die Kanzlerin kurz vor der Hessen-Wahl würde man dem politischen Gegner eine Steilvorlage bieten. Harmonie ist angesagt - auch bei den Stellvertreter-Wahlen, bei denen Roland Koch mit 88 Prozent das beste Ergebnis erzielt.

Die Parteitagsregie stimmt. Doch hinter den Kulissen brodelt es. Mienenspiele und Andeutungen der CDU-Basis lassen immer wieder auf versteckte Kritik am politischen Kurs von Angela Merkel schließen. Und auch die verhaltenen Beifallsbekundungen dürften ein Indikator dafür sein. Besonders als ein alter Rivale Merkels überraschend das Wort ergreift: Friedrich Merz. Auch seine Kritik ist eher von subtiler Art. Merz stellt sich im Steuerstreit hinter die Kanzlerin, sagt, daß die Steuersenkungen von heute auf morgen nicht zu machen seien. "Das geht jetzt nicht", ruft er den Delegierten zu, dafür fehlten die Spielräume.

Doch gleichzeitig erinnert er an die Beschlüsse des Leipziger Parteitages, fordert erneut die Abschaffung der "kalten Progression" ein. Und plädiert für eine Teamlösung, um die wirtschaftspolitische Kompetenz nicht vollkommen dem politischen Gegner zu überlassen. Eine versteckte Ohrfeige für Merkel. Seine Rede hält Merz frei. Er spricht mit fester Stimme, souverän. Es ist keine Rede, die auf der Tagesordnung angekündigt ist. Es ist eigentlich einer jener Lückenbüßer-Auftritte, die von Delegierten gehalten werden, die die Bühne des Parteitags nutzen, um sich zu profilieren. In der Regel ist dann kaum noch einer im Saal, nachdem die CDU-Granden bereits ihre Reden gehalten haben.

Auch als Merz das Wort ergreift, ist der Saal leer. Doch je länger er redet, desto mehr Delegierte kehren neugierig zurück. Als der einstige Unionsfraktionschef seinen Wortbeitrag beendet, gibt es Beifall. Starken Beifall. Lange anhaltenden Beifall. Entlarvend langen Beifall. Es ist ein Beifall aus Überzeugung statt aus Kalkül. Es ist vor allem aber auch ein Beifall, der die brodelnde Lava der Basis zum Ausbruch kommen läßt. Verhalten. Für einen kurzen Moment. Zu mehr reicht es nicht. Schon gar nicht bei den zahlreichen aktuellen Funktionären. Zu groß ist die Furcht vor Sanktionierung durch die Kanzlerin.

Einer, der Merkels Art der Sanktionierung zu spüren bekommt, ist JU-Chef Philipp Mißfelder. Noch vor zwei Wochen hatte er den Führungsstil der Kanzlerin auf dem Deutschlandtag der Jungen Union kritisiert. Nun erhielt er dafür die Quittung. Bei der Wahl fürs CDU-Präsidium erhielt er mit 66 Prozent der Stimmen das zweitschlechteste Ergebnis.

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