© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/08-01/09 19./26. Dezember 2008

"Der Mini-Fidel ist schrecklicher als der Bruder"
Kuba: Die Hurrikans "Gustav" und "Ike" haben der sozialistischen Karibikinsel eine Lebensmittelkrise beschert / Hoffnung auf Barack Obama
Paul Leonhard

Traurig hockt der Mann vor einem Häufchen grünen Orangen. Am Nachbarstand gibt es zwei Ananas, Tütchen mit Pfeffer- und Chilisorten und noch mit Erde behangene Yucca. Auf dem staatlichen Markt La Plaza im Zentrum von Santiago de Cuba gibt es weder Reis noch Bohnen, Linsen, Bananen, Tomaten, Mohrrüben oder Limonen. Es gibt kein Fleisch, keine Eier, keine Zwiebeln, nicht einmal Süßkartoffeln. Dafür aber zöpfeweise Knoblauch.

Offiziell gibt es die vier Orangen des Händlers nicht. Denn als sich plötzlich zwei ältere Frauen als Zivilpolizistinnen ausweisen, sind die Früchte blitzschnell verschwunden. Etwas besser sieht es auf dem freien Bauernmarkt im Stadtteil La Trocha aus. Hier liegt Schweinefleisch in der prallen Sonne. 21 nationale Peso kostet ein Pfund, etwa 77 Cent. Ansonsten gibt es nur noch Süßkartoffeln und Plátano burro (Kochbananen). "Die haben früher nur die Schweine gefressen," sagt die Marktfrau. Seit die Hurrikans "Gustav" und "Ike" einen Großteil der Ernte und viele Lagerbestände vernichtet haben, hat sich die Lebensmittelsituation zugespitzt. Von einer "vorübergehenden Verknappung des Angebots an Nahrungsmitteln und Obst während der nächsten Monate" schreibt das KP-Blatt Granma. Es kündigt Haftstrafen für alle an, die bei Hamsterkäufen oder dem ungenehmigten Verkauf von Lebensmitteln erwischt werden. Gleichzeitig wurden die Lebensmittelpreise festgeschrieben. Bis zur neuen Ernte Ende Februar/Anfang März werden die Kubaner den Gürtel enger schnallen müssen.

Daß Kuba zwei Milliarden Dollar (2007 nur 1,6 Milliarden) für die Einfuhr von Lebensmitteln aufwenden muß, hängt aber nicht mit den Wirbelstürmen zusammen, sondern mit der katastrophalen Situation in der Landwirtschaft. Große Teile besten Bodens liegen seit Jahren brach. Die beschlossene Landreform, nach der private Kleinbauern ungenutztes staatliches Land bewirtschaften können, hat nur wenig Resonanz gefunden. Zu groß ist das Mißtrauen gegenüber der Revolutionsregierung geworden.

Für Regierungschef Raúl Castro ist die jüngste Naturkatastrophe zur richtigen Zeit gekommen. Der "kleine Bruder" habe gute Beziehungen nach ganz oben, spottet die Marktfrau. Er habe Gott um zwei, drei Hurrikans gebeten, damit er die Ursache der Misere auf diese schieben könne. Raúl Castro, der seit 2006 die Geschicke des Landes lenkt, hat bisher keines seiner Versprechen einlösen können. Noch immer gibt es Lebensmittelkarten, der nationale Peso wurde nicht aufgewertet. Dafür wurde das Rentenalter auf 67 Jahre angehoben, die Bürokratie ufert immer weiter aus, und Lohnerhöhungen gab es lediglich für die Justizangestellten.

Strittig ist die Rolle, die Fidel Castro spielt. Während die einen bezweifeln, daß der Comandante en Jefe überhaupt noch lebt, behaupten andere, er halte noch immer die Fäden in der Hand. "Raúl ist der kleine Bruder, der muß vorher fragen", sagt Yamila, Direktorin eines Kulturhauses. Schließlich habe Raúl den Nationalkongreß gebeten, alle Entscheidungen von großer Tragweite vorher mit seinem Bruder besprechen zu können. Selbst für überzeugte Kommunisten ist es schmerzlich, miterleben zu müssen, wie sich die Situation im Gesundheits- und Erziehungswesen rapide verschlechtert. Beide Bereiche - einst der besondere Stolz der Revolution - verkraften den personellen Aderlaß nicht, zu dem die Entsendung Zehntausender Spezialisten nach Venezuela und in afrikanische Länder geführt hat. Operationen müssen verschoben werden, Schüler werden mittels Fernsehsendungen oder von im Schnellverfahren ausgebildeten Jugendlichen unterrichtet.

"Der Mini-Fidel ist schrecklicher als der Bruder", sagt eine Hausfrau. "Nehmt den Halbverrückten zurück und gebt uns den Halbtoten wieder." Der Spruch soll eines Nachts auf einer Wand gestanden haben. "Wir hoffen auf Barack Oba­ma", sagt die Marktfrau: Der werde das seit 1962 immer wieder verschärfte Handelsembargo abschwächen und als ersten Schritt wieder Geldüberweisungen der zwei Millionen Exil-Kubaner an ihre auf der Insel lebenden Verwandten zulassen. Für die Castros wäre das der endgültige Abschied von der Revolution.

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