© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/08-01/09 19./26. Dezember 2008

"Er war ein guter Nazi"
Für Frühjahr 2009 ist die Verfilmung des Lebens von John Rabe in den Kinos angekündigt / In China gilt er als der deutsche Held
Hans Christians

Es ist nicht überliefert, ob John Rabe nun wirklich - wie gelegentlich behauptet - der bekannteste Deutsche im fernen China ist. Man darf aber wohl ohne Widerspruch feststellen, daß der ehemalige Siemens-Manager, der insgesamt 27 Jahre in Asien lebte, der beliebteste Deutsche im Reich der Mitte ist. Es gilt als historisch gesichert, daß der Industriemanager, der 1882 in Hamburg geboren wurde, während des chinesisch-japanischen Kriegs mehr als 200.000 Chinesen das Leben rettete. Aufgrund seiner überragenden humanitären Verdienste wird er als der "gute Deutsche von Nanking", "deutscher Buddha" oder auch "Oskar Schindler Chinas" bezeichnet. Dabei ist der Vergleich mit dem ehemaligen NSDAP-Funktionär eher dazu geeignet, die Verdienste von John Rabe zu schmälern. Während es Oskar Schindler lediglich gelang, 1.200 Juden vor der Deportation in ein Konzentrationslager zu bewahren, vermochte der Industriekaufmann mehr als einhundert Mal so viele Menschen vor dem sicheren Tod zu retten.

Gedankt hat dem mutigen Deutschen dies in seiner Heimat lange Zeit niemand; erst die Entdeckung seiner Tagebücher im Jahr 1996 durch die amerikanische Journalistin Iris Chung brachte Leben und Wirken John Rabes einer breiten Öffentlichkeit näher. Damals war die Liegepacht für sein Grab gerade abgelaufen, und der Grabstein drohte in einer Garage zu verrotten. Dem Einsatz von John Rabes Freund, dem ehemaligen deutschen Diplomaten Erwin Wickert, ist es zu verdanken, daß das Schicksal Rabes als Taschenbuch publiziert wurde. Dieses 1997 erschienene Werk dient als Vorlage für den Kinofilm, der seit September 2007 unter der Regie von Florian Gallenberger in Shanghai gedreht wird und im Frühjahr 2009 in den Kinos anlaufen soll. "Er war ein guter Nazi", schilderte Hauptdarsteller Ulrich Tukur seine Eindrücke nach der Lektüre des Wickert-Buches.

Und in der Tat bot ausschließlich die Mitgliedschaft in der NSDAP die Grundlage für den humanitären Einsatz des Siemens-Managers. Nach einer Ausbildung zum Industrie-Kaufmann und einigen beruflichen Anfangsjahren in Afrika verschlug es den Wandervogel Anfang 1908 nach China. Von 1911 bis 1938 arbeitete er als Repräsentant für den Siemens-Konzern und war ab 1931 in Nanking (auch Nanjing genannt) tätig. John Rabe blieb trotz seiner Auswanderung der deutschen Heimat verbunden - er war ein Konservativer alter Prägung: traditionsbewußt, deutschnational, kaisertreu. Die Wirren der Weimarer Republik, die zaghaften und verzweifelten Schritte der Demokratie verfolgte er mit Unbehagen. Die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 begrüßte er ausdrücklich und schließt sich 1934 der Auslandsorganisation an. Den Kaisergeburtstag begeht er in stiller Andacht: "Ein kurzes Gedenken an diesem Tag kann auch einem Nazi nicht schaden", vertraut er seinem Tagebuch an.

In der Ferne wirkt er als eine Art Entwicklungshelfer. Er baut Elektrowerke und stattet Krankenhäuser aus. 1934 richtet er eine Schule ein - mit Unterstützung der NSDAP. Er beschreibt sich in dieser Zeit selbst als "glücklichen Menschen, nur ein wenig von Heimweh getrieben". Doch die Idylle hält nur noch bis zum Jahr 1937. Am 7. Juli beginnt der zweite Krieg zwischen Japan und China. Am 13. Dezember besetzen japanische Truppen die Stadt Nanking. Es kommt zu fürchterlichen Greueltaten. Mehr als 200.000 Zivilpersonen lassen ihr Leben, Zehntausende Frauen werden geschändet. Erstmals ist Massenvergewaltigung bewußtes Mittel des Krieges.

Nur wenige Ausländer verbleiben in der Stadt. Einer von ihnen ist John Rabe. Er wird von seinen Schicksalsgenossen zum Vorsitzenden des Internationalen Komitees für die Sicherheit von Nanking gewählt. Die Wahl fiel wohl deshalb auf den deutschen Manager, weil er als NSDAP-Mitglied für eine Einflußnahme auf die japanischen Aggressoren prädestiniert war. Schließlich waren das Deutsche Reich und Japan durch den 1936 geschlossenen Anti-Komintern-Pakt Verbündete.

Rabe gründet zusammen mit amerikanischen und britischen Geistlichen eine Sicherheitszone für Zivilisten - gerade einmal drei Quadratkilometer groß. Sie kämpfen um internationale Anerkennung für ihr Schutzquartier und eine Zugangssperre für die mordenden Japaner. Schließlich drängen sich wohl mehr als 200.00 Menschen auf diesem kleinen Raum. Rabe hißt die Hakenkreuzfahne auf seinem Grundstück. "Einen sicheren Ort kann es nicht geben. Er ist sprichwörtlich bombensicher. Niemand wird sich trauen, das Territorium eines NSDAP-Mitglieds zu bombardieren", erzählt er seinen Mitstreitern.

Mitte Dezember 1937 flüchten die meisten Helfer Rabes aus der Sicherheitszone. Er aber bleibt zunächst. Doch sein Arbeitgeber verliert die Geduld und beordert ihn zurück. Das Abschiedsgeschenk der geretteten Chinesen war ein Tuch mit der Aufschrift: "Du bist der lebende Buddha für 100.000 Menschen."

Als Rabe im Spätwinter 1938 nach Berlin zurückkehrt, findet er ein verändertes Deutschland vor. Er versucht bei Hitler gegen die japanische Kriegspolitik zu intervenieren - vergeblich. Er hält Vorträge über das Massaker von Nanking und gerät ins Visier der Gestapo.

Der spätere Botschafter Erwin Wickert, der Rabe 1936 während eines Studienaufenthaltes in China kennenlernte, berichtet davon, daß sein Mentor einen schriftlichen Bericht über die Geschehnisse an Hitler persönlich gesandt habe. Dies bringt ihm eine dreitägige Haft in einem Gestapo-Bunker ein. Er wird schließlich aufgrund seiner Parteimitgliedschaft entlassen - versehen mit der Auflage, über das Erlebte zu schweigen. Seine Bild- und Tonmaterialien werden beschlagnahmt.

Danach ging es auch beruflich mit ihm bergab. Siemens setzt ihn nur noch für Dolmetscher-Tätigkeiten ein, verleugnet den langjährigen Auslandsmanager sogar am Telefon. Sein Entnazifierungsantrag geht 1946 erst in zweiter Instanz durch - völlig verarmt und vereinsamt stirbt der schwer diabeteskranke Rabe 1950 in Berlin. "In China ein Buddha für 100.000 Menschen. Und hier ein Pariah. Ein Outcast. Da kann man schon vom Heimweh kuriert werden", schreibt er kurz vor seinem Tod.

Erst nach dem Auffinden seiner Aufzeichnungen wird sein Schicksal wieder thematisiert. Erwin Wickert schreibt das Buch "Der gute Deutsche von Nanking". Mittlerweile ist Rabes ehemaliger Wohnsitz zu einer Gedenkstätte umfunktioniert worden. Die öffentliche Aufmerksamkeit hat allerdings auch dazu geführt, daß alte Spannungen zwischen Japan und China wieder auflebten. Auf Grund der wenigen authentischen Quellen ist die genaue Opferzahl des "Massakers von Nanking" immer noch ungeklärt. Beide Seiten werfen sich gegenseitig Übertreibungen beziehungsweise Verharmlosungen vor, um daraus politisches Kapital zu schlagen.

Foto: John Rabe (Ulrich Tukur) im gleichnamigen Film, Frühjahr 2009: "Buddha für 100.000 Menschen"

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