© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/09 02. Januar 2009

Im Fadenkreuz der Justiz
Bundeswehr: Angesichts mehrerer Ermittlungsverfahren gegen Soldaten in Auslandseinsätzen wird der Ruf nach Rechtssicherheit lauter
Arnold Steiner

Wenn der Verteidigungsminister von „gefallenen“ Soldaten spricht, dann ist dies ein Zeichen, daß hinsichtlich des Auslandseinsatzes der Bundeswehr in Afghanistan ein Umdenken stattfindet: weg von einer Aufbau- und Friedensmission, hin zu einem Kriegseinsatz.

Ein weiterer Schritt, der deutlich macht, daß Deutschland sich zunehmend mit den Realitäten einer kriegerischen Auseinandersetzung beschäftigt, ist die aktuelle Debatte um die Einrichtung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft für die Bundeswehr. In einem Ermittlungsverfahren gegen einen Soldaten ist es momentan unerheblich, ob dieser im In- oder Ausland auffällig geworden ist. Nach aktueller Rechtslage ist bei einer Straftat die Staatsanwaltschaft des Ortes zuständig, an dem der Soldat in Deutschland stationiert ist. Mag dieses System für kleinere Vergehen ausreichend sein, so stößt es jedoch dort an seine Grenzen, wo komplexe Sachverhalte aufgeklärt werden müssen und hohe Strafen zu erwarten sind.

Dies wird am aktuellen Fall des Oberfeldwebels deutlich, der im afghanischen Kundus an einem Checkpoint tödliche Schüsse auf ein Fahrzeug abgab, in dem nicht wie vermutet Selbstmordattentäter saßen, sondern eine Frau und zwei Kinder. Die zuständige Staatsanwältin für diesen Fall sitzt in Frankfurt an der Oder und kann weder in Afghanistan ermitteln, noch hat sie direkte Einblicke in die Umstände vor Ort während und nach der Tat. Es ist schwer vorstellbar, wie unter solchen Vorzeichen ein objektives Verfahren durchgeführt werden kann, in dem die Todesumstände dreier Menschen aufgeklärt werden.

Um eine Arbeit zu gewährleisten, die den Umständen solcher Vorfälle gerecht wird, mehren sich die Stimmen für eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft, die zentral für alle Ermittlungsverfahren bei Auslandseinsätzen zuständig ist. Neben anderen wird dies auch von Brandenburgs Innenminister und Ex-General Jörg Schönbohm (CDU) gefordert, der es nicht für sinnvoll hält, daß sich immer andere Staatsanwälte in die Umstände militärischer Auslandseinsätze einarbeiten müssen. Auch Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) hat sich für eine Zentralisierung ausgesprochen. Gemeinsam mit dem Justizministerium soll nun über eine Umsetzung diskutiert werden.

Taschenkarten völlig ungeeignet

Unabhängig von den Zuständigkeiten der Staatsanwaltschaft muß auch gefragt werden, wie man mit Eskalationen grundsätzlich umgehen will. Dabei muß man sich verdeutlichen, daß sich die Soldaten nicht im Manöver befinden. In der Nähe des besagten Checkpoints war kurz zuvor ein Kamerad des Oberfeldwebels gefallen, als er mit seinem Fahrzeug auf eine Sprengfalle fuhr. Angesichts des tödlichen Ernstes der Lage im Einsatzgebiet erscheint es kurios, wenn in der Heimat eine „Taschenkarte zu den Regeln für die Anwendung militärischer Gewalt“ ausgegeben wird, in der auf vier Seiten geschildert wird, wie die Soldaten sich zu verhalten haben, bevor sie von der Schußwaffe Gebrauch machen. „Melgäro Mellatuna – dreesch, ka ne se dasee kawum.“ „Vereinte Nationen – stehenbleiben oder ich schieße!“ heißt es dort in der Landessprache Paschtu, und der Landser wird darauf hingewiesen, daß das Wort „dasee“ mit weichem „s“ ausgesprochen wird. Taschenkarten zu diesem und anderen Themen führen die Soldaten im Einsatz mit, um im Zweifel noch einmal nachlesen zu können, wie sie sich verhalten müssen. Es ist nicht schwer nachzuvollziehen, daß dies für große Verunsicherung sorgt.

Was in der Taschenkarte geschildert wird, ist eine militärische Variante von Notwehr und Nothilfe und völlig ungeeignet für den Kampfeinsatz. Die zunehmende Feindberührung des deutschen Kontingents läßt regelmäßig keine Zeit, um sich durchzulesen, daß Gewalt gegen Schwangere, Behinderte und Kinder auf das „geringsmögliche Maß“ zu beschränken ist. Dieses weiß jeder Soldat selbst, es spiegelt daher den hilflosen Versuch des Verteidigungsministeriums wider, die Truppe auf die asymmetrische Kriegführung der Taliban vorzubereiten. Bei einem klassischen Frontverlauf hat man es als Soldat meist nicht mit Schwangeren und Behinderten zu tun.

In Afghanistan ist die Freund/Feind-Kennung jedoch schwierig. Deshalb ist es zum Schutz der Soldaten wichtig, Rechtssicherheit zu schaffen, die gewährleistet, daß angemessen auf Bedrohungen reagiert werden kann. Dieses Ziel darf nicht unter einer politischen Debatte leiden, die davon geprägt ist, daß das Bild einer schießwütigen Truppe gezeichnet wird. Da zu erwarten ist, daß die Bundeswehr zunehmend an Kampfeinsätzen teilnehmen wird, müssen in der Heimat die nötigen Bedingungen geschaffen werden. Dieses Ziel läßt sich nicht mit Taschenkarten erreichen.

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