© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/09 02. Januar 2009

Immer nett geplaudert
Nein, so ein Schlimmer: Mit nunmehr 75 Jahren stürzt sich Hellmuth Karasek noch gerne ins Vergnügen
Harald Harzheim

Als Hellmuth Karasek seine Tochter eines Abends in die Disco begleitet, fragt ihn der Türsteher: „Hat der Friedhof heute Ausgang?“ Diese Anekdote, vom Totgesagten selbst überliefert, enthält den ganzen Karasek: ein Professor für Theaterwissenschaft, der sich ab und an ins jugendliche Vergnügen stürzt. Das ist das gleiche spießige Kokettieren mit dem „Ungehörigen“, wie wenn Filmexperte Karasek verschmitzt zugibt, auch mal James-Bond-Filme zu besuchen. Oder daß er als Kind keinen Karl May las, weil darin zu wenig Sex vorkam. Da kichert sein – ebenfalls spießiges – Publikum: Nein, so ein Schlimmer.

Hellmuth Karasek, das ist der Rezensent als Entertainer, der mit lockerer Hand „Hochkultur“ verbreitet, als Autor des Spiegel, des Tagesspiegel, der Welt und anderer Blätter oder als Diskussionsteilnehmer im „Literarischen Quartett“ (1988 bis 2001), neben Marcel Reich-Ranicki und Sigrid Löffler. Zwar hat er keinerlei bahnbrechende Deutung geliefert, aber immer nett geplaudert. Leider geht seine Kompetenz nicht über anerkannte Trampelpfade hinaus, weshalb er zum Beispiel Andrzej Zulawskis filmische Dostojewski-Reflexion „La femme publique“ (1984) im Spiegel nur plump verreißen konnte.

Dafür zeigt er beständige Lust an Feuilleton-Schlachten: So lieferte er sich Anfang der 1990er mit Wolf Biermann ein publizistisches Duell, nachdem der Liedermacher den Lyriker Sascha Anderson wegen dessen Stasi-Vergangenheit beschimpfte. Und kürzlich warf er Günter Grass vor, sich durch das Verschweigen seiner SS-Vergangenheit den Literaturnobelpreis „erschlichen“ zu haben. Anderseits verliert Karasek auch als Polemiker nie die gutbürgerliche Fassung; nichts scheint ihm wirklich an die Existenz zu gehen.

Er hat Billy Wilders Maxime adaptiert: „Tempo!“

In seinem Buch „Billy Wilder – Eine Nahaufnahme“ (1992) weiß Hellmuth Karasek, ehedem Chefdramaturg des Württembergischen Staatstheaters, immerhin den Hollywood-Regisseur als zeitgenössischen Antipoden Brechts aufzubauen. Ohnehin hat er sich Wilders oberste Maxime – „Tempo!“ – fürs eigene Schreiben adaptiert. Dazu zählt übrigens auch – von Kritikern bespöttelte – Belletristik, darunter zahlreiche Dramen, die Karasek unter dem Pseudonym „Daniel Doppler“ verfaßte. Der Satireroman „Das Magazin“ erzählt von seiner Zeit beim Spiegel. 2004 erschienen seine Erinnerungen „Auf der Flucht“: Wer die Lebensgeschichte des am 4. Januar 1934 in Brünn geborenen Autors lesen will, über die Vertreibung seiner Familie durch die Rote Armee, die spätere Übersiedlung aus der DDR nach Westdeutschland und den beruflichen Werdegang, dem sei diese Autobiographie empfohlen.

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