© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/09 09. Januar 2009

Die Stunde der Staatszocker
Wirtschaftspolitik: Die Konjunktur- und Rettungspakete der Bundesregierung sind auch den kommenden Wahlterminen geschuldet
Bernd-Thomas Ramb

Trübe Aussichten werden der deutschen Wirtschaft für das Jahr 2009 aus vielen Richtungen vorhergesagt. Die Bundesregierung befürchtet einen scharfen Einbruch des Bruttoinlandsprodukts und will das im Dezember beschlossene "Konjunkturpaket" mit einem Kostenrahmen von 31 Milliarden Euro notfalls Anfang dieses Jahres nochmals nachbessern. Die Europäische Zentralbank (EZB) läßt sich zur schärfsten Zinssenkung seit ihrem Bestehen hinreißen und gleichzeitig verlauten, daß dieser Schritt möglicherweise nicht ausreicht. Die Prognosen für das Wirtschaftswachstum sinken von plus 0,1 auf mindestens minus 0,8 Prozent; der Chef-Volkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, erwartet sogar einen Rückgang von vier Prozent.

Hochriskante Wetteinsätze sind verlorengegangen

An allem schuld, daran sind sich fast alle Analytiker einig, ist die internationale Finanzkrise, ausgelöst durch die großzügige amerikanische Hypothekenvergabe für minderwertige Immobilien. Das mag so gelten, entschuldigt aber nur bedingt die nahezu hysterischen Reaktionen der Regierungen in aller Welt. Bankenrettung wurde zur obersten Staatsverpflichtung stilisiert.

Der - allerdings nur theoretisch erwogene - Gegenvorschlag, einfach die entsprechenden Banken, die in dieses Kreditschneeballsystem verstrickt waren, pleite gehen zu lassen, entbehrte durchaus nicht eines gewissen Charmes. Alte Banken gehen zugrunde, neue werden gegründet, historisch durchaus bekannte Vorgänge. Noch mehr Anleger hätten dann ihre Ersparnisse - nein falsch, ihre hochriskanten Wetteinsätze verloren. Um deren extraordinären Schutz kann es doch einer sozial orientierten Regierung aber kaum gehen können. Sinnvoll wird das staatliche Bankenrettungspaket nur, wenn auf den Verdacht verwiesen wird, es diente vornehmlich dem Schutz der Staatsschulden.

Das Eigeninteresse der Bundesregierung ist darüber hinaus eine einleuchtende Erklärung der angekündigten staatlichen Wirtschaftsrettungspläne schlechthin. Warum jetzt und in dieser Dosierung Konjunkturprogramme? Wäre die Volkswirtschaft so genau steuerbar, wie die schwarz-rote Bundesregierung den Anschein erweckt, muß der Bürger sich doch fragen, warum erst jetzt der Zauberstab geschwungen wird. Noch mehr, warum wurde bei diesem perfekten Durchblick die befürchtete Monsterkrise nicht von Anfang an verhindert?

Die Fragen aufgeklärter Bürger sind jedoch nur in zweiter Linie von Regierungsinteresse. Vornehmlich gefragt ist der Wähler, schließlich ist 2009 nicht nur das Jahr der Krise, sondern auch der Bundestagswahlen. Für eine Regierung, die wiedergewählt werden will, ist das Traumszenarium eine Wirtschaft, die sich aus den Untiefen des Niedergangs erkennbar aufrappelt und zu neuen Höhenflügen startet. Da paßt ein prognostizierter, wie tatsächlicher Niedergang im ersten Halbjahr prächtig ins Konzept. Hauptsache, bis zur Bundestagswahl im Herbst wird ein spürbarer Aufschwung vermittelbar. Wichtig ist dabei weniger, ob die Regierung die vorgezeichnete Krise tatsächlich gemeistert hat, sondern allein, ob es ihr gelingt, den Eindruck zu erwecken, sie könne diese wie andere Krisen nach Belieben meistern.

Moralische Verkommenheit unseres Gemeinwesens

Das kann dann ruhig etwas mehr kosten. So verwundert es nicht, wenn schon jetzt "Nachbesserungen" bei den Krisenbewältigungsgaben, die vornehmlich Staatsausgaben sein werden, fest versprochen werden. Das weckt Erwartungen, die nicht ohne Folgen bleiben. Der Bürger ist ein (staats-)ökonomisch denkendes Wesen. Warum also das erste Hilfsangebot annehmen und sich bescheiden, wenn mehr erreicht werden kann. Die Spekulation auf das weitere Ausschütten des Füllhorns staatlicher Wohltaten ist eröffnet. Das Pokern um höhere Staatsleistungen hat eingesetzt. Im (risikofreien) Zocken sind viele durch die finanzwirtschaftlich hochriskanten Wertpapiergeschäfte gut eingeübt - denn als es schiefging, bezahlte der Staat. Daraus lernen auch diejenigen, die sich zuvor solcher Drahtseilakte enthalten haben. Die nächste Lehre aber lautet: Je länger man wartet, um so mehr zahlt der Staat.

Das schlechte Beispiel der Regierung ahmt die Währungsbehörde nach. Wenn die EZB schon jetzt verkündet, eine weitere Zinssenkung sei möglicherweise unerläßlich, verschieben alle potentiellen Kreditnachfrager die Kreditaufnahme so weit es geht nach hinten. Dadurch wird die Wirtschaftskrise nochmals verschärft und der Druck auf die staatlichen und monetären Rettungstrupps verstärkt. Die Stunde der Zocker hat wieder geschlagen. Diesmal aber geht es nicht um riskante Geldanlagen mit der Gefahr des (privaten) Totalverlustes, sondern um direkte Hilfen des Staates und der Zentralbank.

Die naive Hilflosigkeit dieser Organe ist ebenso erschütternd, wie die Folgen katastrophal sind. Die individuellen Wirtschaftsakteure verlassen sich immer mehr auf die soziale Risikoabsicherung und verlernen damit nicht nur die Einschätzung und Vermeidung unakzeptabler Wirtschaftsrisiken, sondern entwerten auch die elementare moralische Verpflichtung zur Eigenverantwortung. Die - mehr kurz- als mittelfristige - Folge ist die endgültige Zerrüttung der Staatsfinanzen. Der nachhaltige Schaden, die moralische Verkommenheit eines Gemeinwesens, dürfte aber noch schwerer wiegen.

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