© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/09 16. Januar 2009

Frieden als Ernstfall
Israels Krieg im Gazastreifen: Auch ein militärischer Sieg kann das Nahost-Problem nicht lösen
Günther Deschner

Nach drei Wochen seiner blutigen Militäraktion im Gazastreifen steht Israel vor harten Wahrheiten: Der Krieg wurde immer brutaler, die Zahl der Toten und Verstümmelten immer erdrückender, die internationalen Forderungen nach Waffenruhe immer lauter - und der strategische und politische Gewinn des Unternehmens immer ungewisser.

Mit ihrer turmhoch überlegenen Feuerkraft erteilte die fünfstärkste Armee der Welt einem im Haß geübten Feind namens Hamas eine Lektion - und bombte ihr Land damit selbst in eine Sackgasse. Das Führungstrio der israelischen Politik - Ehud Olmert, Tzipi Livni und Ehud Barak - hat die Armee in einen Krieg geschickt, ohne schlüssige Antworten auf die Fragen zu haben, die sich vor der Entscheidung über Frieden oder Krieg zwingend stellen. Das "Respice finem" der Römer ("Bedenke das Ende") war nicht die Maxime, an der sich Jerusalem orientierte: Wer die Panzer rollen läßt, muß zuvor alles versucht haben, sein Ziel auch ohne Krieg zu erreichen. Er muß zweitens die Chancen realistisch beurteilen, ob ihn ein Krieg seinen Zielen näherbringt. Und drittens: Wenn Krieg unvermeidlich ist, muß das Militär wenigstens die Verhältnismäßigkeit der Mittel wahren. Das verlangt nicht nur das Kriegsvölkerrecht, sondern auch die Logik der Friedenserzwingung.

Um diese drei Punkte hat sich Israel nicht geschert: Es lehnte direkte Verhandlungen mit der in Gaza regierenden Hamas-Bewegung ab. Es hat seine Kriegsziele nicht überzeugend formuliert. Und in puncto "Verhältnismäßigkeit" ist die Relation von bis jetzt fast 1.000 toten und 5.000 verletzten Palästinensern - meist Zivilisten - und 20 toten Israelis (einschließlich der zivilen Opfer des Raketenbeschusses) Kommentar genug.

Internationale Aufrufe, UN-Beschlüsse und EU-Bitten sind an den Politikern Israels abgeperlt. Selbst israel-freundliche US-Analysten wie Anthony Cordesman, Direktor des Zentrums für strategische und internationale Studien (CSIS), sind in Rage. "Israels unbedachter Aktionismus kann auch die amerikanische Position in der Region beschädigen, jede Hoffnung auf Frieden zerstören, die moderaten arabischen Regimes und Haltungen schwächen. Israels politische Führung besitzt nicht die mindeste Kompetenz, um solche Fragen zu überblicken."

Offenkundig denken Olmert, Livni und Barak aus rein israelischer Perspektive. Das Land hat sich abgeschottet, weil es sich in einer Situation wähnt, in der ihm die Felle davonschwimmen. Wie Umfragen zur anstehenden Parlamentswahl (10. Februar) bestätigen, hat sich der jüdischen Israelis ein Bedrohungsgefühl bemächtigt. Darin, daß Bibi Netanjahus extrem rechter Likud-Block in Prognosen weit vor der regierenden Kadima- und der Arbeitspartei liegt, spiegelt sich die zunehmende Zukunftsangst. Sicher auch wegen der Wahlprognosen und nicht nur wegen der Raketen der Hamas hat das (noch) regierende Führungstrio die Flucht nach vorn, in den Krieg, angetreten.

Der Entschluß zur militärischen Option ist Ausdruck dieses dumpfen Bedrohungsgefühls: Die von Kritik unbeeindruckte Atompolitik des Iran, das nachwirkende Trauma der Niederlage gegen die radikalislamische Hisbollah im Libanon-Krieg von 2006 und die Unnachgiebigkeit der Hamas in Gaza - das sind die Faktoren "von außen", die im israelischen Meinungsbild als Bedrohungen dargestellt werden und Ängste auslösen. Die vierte Bedrohung für Israels Existenz als jüdischer Staat, die immer stärker bewußt wird, kommt von innen. Es handelt sich um den "demographischen Faktor", den die 1,3 Millionen arabischen Staatsbürger Israels darstellen. Mit einer Geburtenrate, die doppelt so hoch liegt wie die der Juden, werden Israels Araber schon in einer Generation ein entscheidender Bevölkerungsfaktor sein.

Hinzu kommt, daß sich in der israelischen Gesellschaft das Gefühl verfestigt hat, Israel werde von der internationalen Gemeinschaft, auch vom Westen, im Stich gelassen. Die jüngsten Weigerungen Washingtons, Israels geplanten Militärschlag gegen den Iran zu unterstützen, und Obamas Ankündigung, direkte Gespräche mit Teheran aufzunehmen und Kontakte zur Hamas zuzulassen, wurden in West-Jerusalem mit Entsetzen registriert.

Die radikalislamische Hamas-Bewegung gilt vielen Israelis als das Böse schlechthin, als ein teuflisches Werkzeug des Iran. Offiziell wird erklärt, mit Terroristen könne man nicht verhandeln oder Abmachungen eingehen. Dabei wird ständig verdrängt, daß man früher auch den aktuellen Verhandlungspartner Syrien - und Fatah und PLO sowieso - als Terroristen gebrandmarkt hat. Vor zwei Monaten war es ausgerechnet die PLO von "Palästinenserpräsident" Mahmud Abbas, die den Israelis nochmals klarmachte, was die Palästinenser und ihre arabischen und islamischen Partner wollen: In einem großen Inserat in Haaretz, dekoriert mit den Flaggen von 22 arabischen und 35 muslimischen Staaten, wiederholten sie die Vorschläge und Bedingungen des vom saudischen Königshaus erstmals 2002 vorgelegten, 2007 erneuerten und nach wie vor gültigen gesamt-arabisch-islamischen Friedensangebots: volle Anerkennung Israels durch alle arabischen und muslimischen Länder, völlige Normalisierung der Beziehungen - im Gegenzug dafür: der israelische Rückzug auf die Grenzen von vor 1967, die Errichtung des palästinensischen Staates mit Ost-Jerusalem als seiner Hauptstadt und Entschädigung der palästinensischen Flüchtlinge. Israel indes versteckt sich weiterhin hinter der Formel, es gebe keine Chance für den Frieden ...

Israel hat in den 60 Jahren seines Bestehens oft genug gezeigt, daß es Kriege militärisch gewinnen kann. Um endlich auch den Frieden zu gewinnen, könnten Israels Politiker auch auf eigene Erfahrungen zurückgreifen: Menachem Begin hatte als zionistischer Terrorist begonnen und endete als Friedensnobelpreisträger. Ihm wird das Wort zugeschrieben: "Man kann nur Frieden mit Gegnern machen, die man hat, nicht mit denen, die man gerne hätte."

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