© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/09 30. Januar 2009

Frisch gepresst

Gerdauens Güterwelt. Offenkundig hält sich der Berliner Architekturhistoriker Wulf D. Wagner an Thomas Manns Devise: "Wahrhaft unterhaltsam ist nur das Ausführliche". Denn nach dem ersten Band seiner monumentalen Geschichte des Königsberger Schlosses (JF 27/08) folgt nun der erste Teil seines Epos zur "Kultur im ländlichen Ostpreußen", der die "Geschichte, Güter und Menschen im Kreis Gerdauen" behandelt (Husum Verlag, Husum 2008, gebunden, 715 Seiten, Abbildungen, 39,95 Euro). Das kiloschwere Opus hebt mit 250 Seiten zur Historie des Kreisgebiets an, die das Regionale in die Landes- und die Geschichte der "Haupt- und Staatsaktionen" Preußens einbetten. Im alphabetisch geordneten Gang führt Wagner den Leser durch die Gütergeschichte einer ostpreußischen Kernlandschaft von Abelischken, dem Elternhaus der Schriftstellerin und frühen NS-Aktivistin Anne-Marie Koeppen, bis nach Hochlindenberg im Kirchspiel Nordenburg. Weitere 600 Seiten des zweiten Bandes sollen dann die Güter Kanoten bis Woninkeim auf die gleiche akkurate Weise darstellen. Wagner stützt sein Präzisionswerk auf die unerschöpflichen Aktenschätze des Dahlemer Geheimen Staatsarchivs, auf die unergiebigere "Heimatliteratur" und auf "Wissensträger", die ihn selbst die Inneneinrichtung von Ankleidezimmern für seine akribischen Grundrisse ermitteln lassen. Sieht man ab von den sich allerdings stark aufs Architektur- und Kulturhistorische beschränkenden Monographien über die europäischen Rang beanspruchenden Schlösser Schlobitten und Finckenstein, zuletzt über das Friedrichstein der Dönhoffs (JF 18/07), gibt es daher keine mit der hier ausgebreiteten Detailfülle auch nur annähernd vergleichbare Rekonstruktion der agrarischen, von adligen wie von bürgerlichen Gutsbesitzern gleichermaßen geprägten Lebenswelt Ostpreußens - ausgenommen eine jüngere Studie über die Güter des Kreises Heiligenbeil (JF 43/05), aber die ist auch von Wagner.

 

Altes Europa. Umfang und Format des Bändchens von Peter Stützle mögen über den Inhaltsschatz hinwegtäuschen oder suggerieren, der Hörfunkchef im Hauptstadtstudio der Deutschen Welle habe nur Warnungen Meinhard Miegels vor dem europäischen Demographie-Kollaps mit all seinen Verwerfungen wiedergekäut. Das ist nicht der Fall, benennt doch Stützle, dessen christliche Wertekoordinaten schnell sichtbar werden, auch Auswege aus dieser Entwicklung und analysiert politische und gesellschaftliche Faktoren wie beispielsweise die üblich gewordene Schmähung früher Mutterschaft oder das Familien benachteiligende Rentensystem (Generation Abgrund. Stirbt Europa aus? Johannis Verlag, Lahr/Schwarzwald 2008, gebunden, 160 Seiten, 9,95 Euro).

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