© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/09 06. Februar 2009

Ein Interview und seine Geschichte
Vertane Chance: Wie es gelang, Atze Brauner, eine deutsche Filmlegende der Nachkriegszeit, zu interviewen und doch nicht mit ihm zu sprechen
Moritz Schwarz

Artur Brauner ist eine Legende: der "Kinokönig" (Tagesspiegel), "letzte deutsche Tycoon" (Welt), "Doyen der deutschen Nachkriegsfilmwirtschaft" (Spiegel), "Inbegriff eines Filmmoguls und Stück gelebter Filmgeschichte" (Focus) - als er im vergangenen Jahr seinen neunzigsten Geburtstag feierte, überschlugen sich die Lobpreisungen. Tatsächlich, Produzent "Atze" Brauner prägte - neben Horst Wendlandt - den deutschen Nachkriegsunterhaltungsfilm wie kein anderer: Mit filmischen Kult-Kleinoden wie "Der Raub der Sabinerinnen" (1954), "Der brave Soldat Schweijk" (1960), "Via Mala" (1961), "Es muß nicht immer Kaviar sein" (1961), "Im Stahlnetz des Dr. Mabuse" (1961), zahlreichen Sherlock-Holmes-, Edgar-Wallace- und Karl-May-Verfilmungen und schließlich deutschen Monumental-Epen wie "Die Nibelungen" (1966) und "Kampf um Rom" (1968) und Dutzenden weiteren bonbonbunten Kassenschlagern in Technicolor illustrierte er eine ganze Dekade bundesdeutscher Unterhaltungsgeschichte, wurde sein Schaffen zum Ausdruck der unbekümmerten bürgerlichen Wohlstandsepoche vor dem Bruch von 1968.

Daneben und später produzierte Atze Brauner - meist abseits vom großen Publikumsinteresse - Filme, die sich mit Widerstand und Verfolgung im Dritten Reich auseinandersetzten: "Der 20. Juli" (1955), "Die Spaziergängerin von Sans-Souci" (1982), "Die Weiße Rose" (1982), "Hitlerjunge Salomon" (1989) oder "Babij Jar - das vergessene Verbrechen" (2002).

Abraham Brauner - später legte er diesen Vornamen ab - wurde 1918 in Lodz als Sohn eines jüdischen Holzhändlers geboren. Aus seinem Leben und Überleben bis 1945 macht er bis heute ein Geheimnis, nach seinen Angaben fielen jedoch 49 seiner Angehörigen dem Holocaust zum Opfer.

Der Reigen eines Gesprächs mit diesem "Zeugen des Jahrhunderts" hätte mit Fragen nach "Morituri" und dem "Operation Walküre"-Vorläufer und allerersten Stauffenberg-Kinofilm "Der 20. Juli" - mit dem Brauner, im Gegensatz zu dem mit einem Mut-Bambi ausgezeichneten Tom Cruise, nur zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs immerhin doch ein gewisses Wagnis einging - Luzides über die seelische Verfassung der Deutschen nach dem Krieg zutage fördern, hätte hineinführen können in die unbeschwerte Seelen- und Stimmungslage der sechziger Jahre und glitzernd noch einmal die letzte bürgerliche Ära vor dem Umsturz der Gegenkultur heraufzubeschwören vermocht: um schließlich in das letzte Kapitel dessen, wofür Brauner steht, zu münden. Warum, hätte die bohrende Frage lauten sollen, scheitert der deutsche Film am Holocaust genauso wie an so vielen deutschen Themen der Nachkriegszeit - bis hin zu den auf eigentümliche Weise leeren jüngsten Verfilmungen zu Bombenkrieg oder Flucht und Vertreibung?

Auf die Anfrage nach einem Interview reagierte Brauner zunächst zögerlich, dann ließ er wissen, es sei "kein Geheimnis, daß Ihr Organ eine rechts-konservative Zeitschrift ist, die jedoch versucht, mit anderen politischen Richtungen auch - soweit möglich - friedlich zusammenzuleben. Von einem Interview mit Ihnen ist mir abgeraten worden. Ich wäre jedoch bereit, Ihnen ein solches zu geben, wenn Sie mir schriftlich bestätigen, die von mir vorgenommenen Korrekturen und Ergänzungen, in keiner Weise zu verändern." Kein Problem. Doch dann die entscheidende Bedingung: Die Fragen seien ausschließlich schriftlich einzureichen! Ein Interview im eigentlichen Sinne, also ein Gespräch mit Nachfragen, Nachhaken, Auf-den-Zahn-Fühlen, war dadurch nicht möglich. Das Resultat, dessen Essenz wir - in Abstimmung mit Artur Brauner - in stark gekürzter Form hier dokumentieren, ist so statt zu einem Denkmal für den Filmmogul zum Zeugnis geraten für dessen überwältigend-beklemmendes Angstgefühl gegenüber den (nichtjüdischen) Deutschen und dafür, wie tief die Erfahrung des Holocaust die Erlebnisgeneration der Opfer traumatisiert hat. Gerade das aber hätte ein Interview - ein diskursives Gespräch - so wichtig gemacht. Eine vertane Chance.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen