© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/09 06. Februar 2009

"Ich bin enttäuscht"
Interview: Den Filmproduzenten Artur "Atze" Brauner läßt der Holocaust nicht los
Moritz Schwarz

Herr Brauner, Sie und Ihre Firma CCC-Film sind zu Ikonen der frühen Bundesrepublik geworden. Ihre Filme haben eine ganze Generation Deutscher begleitet.

Brauner: Ich komme mir nicht vor wie eine Ikone, obwohl ich nicht nur einmal vernommen habe, daß ich seit dem Entstehen des Films in Deutschland der populärste und beliebteste Produzent bin. Die viele Fanpost bestätigt zwar diese Aussage, und so entsteht eine gewisse Genugtuung, daß sich die Arbeit, die Leistung, die man in so vielen Jahrzehnten vollbracht hat, gelohnt hat.

Sie haben viele Unterhaltungsfilme produziert, die als typischer Ausdruck ihrer Zeit gelten, aber auch ernste - jedoch weniger erfolgreiche - Filme. Waren erstere für Sie nur Mittel zum Zweck?

Brauner: Selbstverständlich bedeuteten für mich die Filme mit dem Thema um das Leiden der Opfer des Nationalsozialismus - unabhängig, ob es Deutsche, Juden, Polen, Russen oder Franzosen waren - viel: Sie sind meine Verneigung vor den Millionen Opfern, viel mehr als die typischen Unterhaltungsfilme auch ernsten Charakters, und sie wurden oft mit den Prädikaten "Wertvoll" oder "Besonders wertvoll" bedacht. Die rund eineinhalb Millionen jüdischer Kinder, die unter grausamen Umständen ermordet wurden - wie soll man die vergessen? Und wenn manche unbelehrbaren Nazis noch heute von diesen Zeiten träumen und am liebsten diesen Massenmord an Millionen als "Kavaliersdelikt" abtun wollen, so hätten sie seinerzeit Verbindung aufnehmen müssen mit den zuständigen SS-Tätern, die auch mein Leben, wenn sie besser aufgepaßt hätten, ausgelöscht hätten.

Ihren Unterhaltungsfilmen wurde vorgeworfen, sie hätten das "Verdrängen" befördert und böten eine verlogene heile Welt.

Brauner: Den Vorwurf, Unterhaltungsfilme gedreht zu haben, kann ich nicht im mindesten akzeptieren. Schon gar nicht bei der Einstellung des deutschen Volkes zu den Filmen, die sich mit den Leiden der Opfer der Nazi-Zeit beschäftigen und bei denen man unabdingbar Hunderttausende und sogar Millionen an Herstellungskosten verliert. Wenn mir jedoch eine Bank Geld zur Verfügung gestellt hätte, ohne persönliche Haftung, ich hätte mich auf diese Filme konzentriert und nicht zehn Unterhaltungsfilme produziert, um mit den Gewinnen einen Holocaust-Film oder sonstigen Film über die Nazi-Zeit zu drehen. Denn es gab kein größeres Verbrechen in der Geschichte der Menschheit als den Mord von vierzig Prozent eines Volkes, das nicht im Krieg war mit Deutschland, sondern seiner Arbeit in allen Ländern Europas nachging. Keiner dieser jüdischen Europäer hatte irgend jemandem etwas angetan. Ohne sich wehren zu können, sind sie - nicht nur von der SS, Gestapo, Gendarmerie, Wehrmacht - stranguliert und getötet worden. Zudem hat diese Mördermaschinerie lynchende Nachahmer gefunden in Lettland, Litauen, Kroatien, Rumänien, Ungarn, Ukraine und anderen Ländern, deren Bevölkerungen aus reiner Gier geraubt, vergewaltigt und getötet haben. Die Menschen dort haben damals jegliche Moral verloren. Dies ist ein Verdienst von Hitler und seinen Schergen. Und daß dieser paranoide (Ver-)Führer sich erdreistete, vor seinem Tod zu erklären, daß "das deutsche Volk den Tatbestand, daß seine Städte in Schutt und Asche gelegt worden sind, daß es diese Strafe verdient hat", und es trotzdem noch Millionen Anhänger von ihm bis zum heutigen Tage gibt, das ist ein Rätsel oder ein spezifisches Merkmal dieses Volkes.

Haben Ihre Unterhaltungsfilme die damalige Zeit geprägt, oder hat die Zeit damals Ihre Filme geprägt?

Brauner: Sowohl das eine als auch das andere hatte seine Wirkung, und so wurde die Bundesrepublik für eine gewisse Periode durch meine Filme geprägt. Die Zeit damals hat die Themen verlangt, die wir dann produzierten, andernfalls hätten wir wohl mit Mißerfolgen zu rechnen gehabt.

Sie haben sich auch mit dem Holocaust beschäftigt. Das breite Publikum identifiziert Sie allerdings nicht mit diesem Stoff.

Brauner: Ich bin tief enttäuscht über die Reaktion des breiten Publikums. Denn jede Hoffnung, daß sich die rund zwanzig Prozent der Rechten wesentlich reduzieren werden, schlug fehl.

Hollywoods Holocaust-Filme erreichten ein breites Publikum. Warum gelingt das deutschen Filmen zum Thema nicht?

Brauner: Zu "Schindlers Liste" wäre zu sagen, daß ich den Film direkt vor Drehbeginn abbrechen mußte, weil die Filmförderungsanstalt wiederholt die Förderung versagte. Da wir den Film mit unseren Mitteln zu einem sehr guten Erfolg nicht bringen konnten, habe ich Steven Spielberg die Realisierung überlassen. Ohne diese für manche Filme unverzichtbare Investition kann sich ganz selten der Erfolg einstellen.

Vor allem Ihr Film "Babij Jar - Das vergessene Verbrechen" (2003) zeigt die Problematik auf. Einerseits von dokumentarischer Direktheit und beklemmender Unmittelbarkeit, bleibt der Film dem Zuschauer dennoch seltsam verschlossen.

Brauner: Das Geschehen um Babij Jar im September 1944 ist für das deutsche Publikum so ungeheuerlich - in zwei Tagen wurden rund 34.000 Männer, Frauen und Kinder und sogar Säuglinge erschossen -, daß schon mit diesem Tatbestand das Verdrängen beginnt. Und dies führte dazu, daß das Publikum nicht abwartete, ob der Film gut oder schlecht ist und ob er gut oder schlecht kritisiert wird, es ging einfach nicht ins Kino. Dies ist für mich persönlich der beste Beweis, daß eine politische Änderung seit 1946 bei der breiten Masse nicht stattfand.

Ist der melodramatische Ansatz Hollywoods bei diesem Thema zu unernst für Ihren Geschmack?

Brauner: Die Amerikaner haben mehr Erfahrung - weltweit -, wie man manches prekäre Thema anpackt. Das muß man ihnen lassen. Andernfalls würden diese Filme finanzielle Einbuße zu verzeichnen haben, wie es bei uns der Fall ist. Übrigens, nicht alle Filme waren finanzielle Mißerfolge. Denn etwa "Die Spaziergängerin von Sans-Souci" mit Romy Schneider oder "Hitlerjunge Salomon" haben keine schlechten Ergebnisse aufzuweisen.

Ihr Film "Der letzte Zug" (2006) über die Deportation Berliner Juden 1943 zeigt schon stärker dieses Element. Sehen Sie sich mit diesem Film wieder bei "Morituri" von 1948 angekommen?

Brauner: Meine 21 Filme über die Nazi-Verbrechen - in Eigen- und Koproduktion produziert - werden in der Zeit nach uns für die nächsten Jahrzehnte und Jahrhunderte das Grauen darstellen, unverfälscht, ohne jegliche Hetze, wahrhaftig. Und so glaube ich, daß sich mit der Zeit der politische Aspekt ändern wird und daß ein Film, der heute kein Erfolg ist, vielleicht in hundert Jahren im Vergleich zu einem anderen Film, der mehr Erfolg jetzt zeigt, sich in der Gunst des Publikums verbessert.

Glauben Sie, daß es dem Kino bereits gelungen ist, das Thema Holocaust wirklich zu erfassen? Oder gibt es den angemessenen Holocaust-Film bis heute nicht?

Brauner: Sie fragen, ob man ein Melodram aus dem Holocaust machen kann? Ich bin jetzt bei der literarischen Herstellung eines Films mit dem Titel "Der Chinese", der im Ghetto Lodz spielt, in der Zeit, bevor es 1944 ausgelöscht wurde. Bei diesem Film wird man weinen, aber auch lachen können. Es wird keinesfalls ein Kniefall vor dem Publikum sein, auch kein Kompromiß, sondern vielmehr der Geschichte folgen.

Sie haben einmal gesagt, Kino müsse nationale Mythen aufgreifen, wie das Hollywood macht. Als Beispiele nannten Sie Luc Bessons "Johanna von Orleans" (1999) und Jerzy Hoffmans "Mit Feuer und Schwert" (1997), lehnten aber für Deutschland eine Verfilmung eines nationalen Mythos ab. Wie konsequent ist das?

Brauner: Die Polen sind mit "Mit Feuer und Schwert" nicht viel nationaler geworden, die Franzosen mit "Johanna von Orleans" schon gar nicht. Wenn Sie aber an Filme wie "Die Flucht" (2007) oder "Die Gustloff" (2007) denken, stellen Sie fest, daß sie ungesunde Ambitionen in Teilen der Bevölkerung wecken.

1955 drehten Sie allerdings den allerersten Stauffenberg-Kinofilm: "Der 20. Juli"

Brauner: Ich hab den Film sehr gern. Aber nach genaueren Kenntnissen des Widerstandskreises und insbesondere des sogenannten Kreisauer Kreises hätte ich dem Film eine andere Farbe gegeben. Dieser Kreisauer Kreis hat zwar die Beseitigung Hitlers gewünscht, aber mit keinem Wort sind die Verbrechen gegenüber dem jüdischen Volk in die Agenda aufgenommen worden. Als ob nichts geschehen wäre. Für mich persönlich ist der Kreisauer Kreis kein "Widerstandsnest" unter Einbeziehung aller Opfer, sondern ein einseitiges Bestreben, ein Land ohne Hitler zu erreichen.

Welchen Film möchten Sie noch machen?

Brauner: Ich würde sehr, sehr gern noch den Film "Der Chinese" erfolgreich produzieren. Dieser soll den drei oben erwähnten Filmen, die als Melodramen gelungen produziert wurden, einen vierten gelungenen Film um die Nazi-Zeit an die Seite stellen.

Haben Sie je bereut, nicht nach Hollywood gegangen zu sein?

Brauner: Sobald sich Hooligan-Exzesse ereignen, kommen sofort die Fragen und die Zweifel, ob es richtig war, mich in Deutschland zu etablieren. Wird es wieder ruhig, bin ich davon überzeugt, daß ich mich richtig entschieden habe. Moritz Schwarz

Foto: Artur "Atze" Brauner im Garten seines Wohnhauses (2008)

Foto: Plakate von Brauner-Filmen: "Den Vorwurf, Unterhaltungsfilme produziert zu haben, kann ich nicht im mindesten akzeptieren"

 

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