© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/09 13. Februar 2009

Der Super-Vatikan
Kampagne gegen den Papst: Die katholische Kirche soll sich der Zivilreligion beugen
Thorsten Hinz

Der Zusammenstoß des Papstes mit Presse und Politik in Deutschland war von Benedikt XVI. nicht gewollt, er war bloß unvermeidlich. Denn erstens stellt die Institution der katholischen Kirche noch im Stadium ihrer politischen Machtlosigkeit die leibhaftige Provokation für die moderne Massendemokratie dar. Alles, was sie ist und repräsentiert: Tradition, Hierarchie, Askese, Dienst an einem ferneren Ziel, das dem Einzelnen unerreichbar ist, die Ablehnung innerer Demokratie usw., steht konträr zum massenhaften Bedürfnis, die materiellen, ideellen, sexuellen Gelüste schnell und umstandslos zu befriedigen. Da sie die Offenbarung auf ihrer Seite zu haben meint, kann die Kirche auch den Majoritätswillen gelassen als Irrtum abtun. Sie hält es für wichtiger, das einzelne Gewissen zu schärfen und das Individuum gegen die Allmacht der demokratischen Mehrheit zu stärken, welche die Menschenrechte nach Belieben gewährt oder entzieht.

Es ist dieses stille, zähe Bestreiten ihrer Allmacht, der stete, stumme Verweis auf ihren relativen Charakter, der die Vertreter der Massendemokratie so sehr in Zorn versetzt. Das Durchschnittliche und Gewöhnliche, das in der aktuellen Kirchenkritik an die Oberfläche kommt, will keinesfalls bei seinem Namen genannt werden, sondern beansprucht, das Allgemeinmenschliche, die Aufklärung, wenigstens aber den Fortschritt zu verkörpern.

Ein Journalismus, der nicht zwischen Exkommunikation und juristischer Rehabilitierung unterscheiden kann, ist das Kind dieser Demokratie-Abart. Er schmeichelt der Massenseele und bestärkt sie in ihrem Überlegenheitsgefühl. "Um leben zu können, muß die Presse sich immer mehr in den Dienst politischer und ökonomischer Mächte stellen. In der Hand dieser Mächte lernt sie die Kunst bewußter Lüge und Propaganda für geistfremde Kräfte. Sie muß sich Gehalt und Gesinnung bestimmen lassen." So umriß Karl Jaspers 1932 den spirituellen Nihilismus Europas.

Die verlassenen Altäre, schreibt Ernst Jünger, werden von Dämonen in Beschlag genommen. Das ist der zweite Punkt. Der mächtigste Dämon der Gegenwart ist die Zivilreligion, in der Auschwitz an die Stelle Gottes tritt, eine messianische Zeitenwende markiert und als "zweites Golgatha" das erste überlagert, wie Historiker und Theologen, jüdische wie christliche, offen erklären.

Der Holocaust wird den Regeln des Wissenschaftsbetrieb entzogen, seiner Konkretheit und seines Kontextes entkleidet, mittels Zeremonien, Rituale, Strafgesetzen und sakraler Sprachgebung auf die Höhe eines Mysteriums gestemmt, das priesterlicher Vermittlung bedarf. Dahinter steckt der umfassendste und härteste politisch-ideologische Dezisionismus seit der russischen Oktoberrevolution.

Die Holocaust-Religion setzt sich ungleich geschickter ins Werk als die marxistisch-leninistische Staatskirche. Statt auf Konfrontation zur christlichen Religion zu gehen, wird diese adaptiert und transformiert. Daniel J. Goldhagens 2002 erschienenes Buch "Die katholische Kirche und der Holocaust" ist wissenschaftlich wertlos, doch seine politische Programmatik bleibt intakt.

Um ihre "Schuld" am Holocaust zu sühnen, verlangte Goldhagen von der katholischen Kirche: die Auflösung des Vatikan, die Neufassung der Bibel unter Aufsicht einer ökumenischen Weltversammlung, die "Demokratisierung" der Kirche, die Aufgabe des Unfehlbarkeitsdogmas, Glaubenspluralismus sowie Denkmale für jüdische Opfer der Kirche, politische Unterstützung für Israel, eine Kampagne unter den Gläubigen gegen Antisemitismus, die "ins Zentrum ihrer Mission" gehört usw. Die katholische Kirche stünde damit unter Oberhoheit eines Heiligen Holocaust-Offiziums und würde zur Unterabteilung der Zivilreligion - ähnlich wie die protestantische Kirche, die zu einer Mischung aus Dritte-Welt-Laden, Aktion Sühnezeichen und "Glockenläuten gegen Rechts" degeneriert ist. Ihr Markenzeichen ist ein aggressiv-erpresserischer Moralismus, der im Verlauf von Jahrzehnten zum beherrschenden Tonfall der vereinten Bundesrepublik geworden ist und an den auch die Priester der Zivilreligion anknüpfen.

Die katholische Kirche hat sich gegen solche Überformungen bisher erfolgreich gewehrt. Aus ihrem Selbstverständnis heraus kann sie die Holocaust-Religion nicht als gleichberechtigt neben sich dulden, sondern muß sie als Irrlehre zurückweisen. Insofern besitzt die Wiederaufnahme eines "Holocaust-Leugners" (ein Begriff, der immer diffuser und in gefährlicher Weise beliebig wird) eine Symbolik, die auch klar erkannt wurde und für die medialen Veitstänze ursächlich ist: Der Papst hat damit - unbeabsichtigt zwar - demonstriert, daß die Ansprüche der Holocaust-Religion keine Oberhoheit über die Belange, Dogmen und Entscheidungen der katholischen Kirche besitzen! Die schwächliche Reaktion der deutsche Bischöfe weckt allerdings Zweifel, ob sie die Dimension der Kampagne überhaupt begreifen und ob sie die Kraft haben, sich ihr zu stellen.

Der Angriff von Bundeskanzlerin Merkel auf den Papst zeigt, daß die deutschen Funktionseliten sich als Sprachrohre und Werkzeuge des Holocaust-Dezisionismus verstehen. Sie erhöhen sich selbst, indem sie das deutsche Volk der Position des moralischen Dauer-Schuldigen überlassen, der keine Erlösung und Vergebung zu erwarten hat, sondern durch jede abgepreßte Bußübung in noch tiefere Schuldgefühle hinabgedrückt wird, die neue Bußübungen erfordern und damit eine Spirale der Selbstzerstörung in Gang setzen. Den einzigen Ausweg bietet die Heuchelei, zu der die Mehrheit nach aller Erfahrung bereit ist, wenn sie dafür an anderer Stelle ihre Gelüste massendemokratisch befriedigen kann.

Wir sind Zeugen eines umfassenden wie tiefgreifenden Versuchs, einen Menschentyp heranzuzüchten, der die äußere Freiheit nicht vermißt, weil seine Vorstellung von innerer Freiheit vollständig fremdbestimmt ist.

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