© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/09 13. Februar 2009

"Wir müssen selber handeln"
Interview: Nabaltec-Vorstand Gerhard Witzany über die aktuelle Politik und Aussichten des deutschen Mittelstands in Zeiten der Finanzkrise
Wolfhard H. A. Schmid

Herr Witzany, die US-Finanzkrise hat sich zu einer realen Weltwirtschaftskrise entwickelt. Ist Ihr Unternehmen auch direkt davon betroffen?

Witzany: Natürlich ist auch bei uns der Aktienkurs deutlich eingebrochen, was aber für unsere geschäftliche Entwicklung nicht entscheidend ist. Die Finanzierungsvorhaben sind seit Anfang 2008 für die nächsten drei Jahre gesichert. Die Rückfinanzierung erfolgt über die LfA und die KfW-Förderbank, dies ist vertraglich sichergestellt. Bis in drei Jahren hoffen wir, daß die Weichen der Banken wieder richtig gestellt sein werden.

Was erleben Sie derzeit konkret?

Witzany: Die Wirtschaftskrise bemerken wir allerdings schon. Die Immobilienkrise hat dazu geführt, daß weniger Verkabelungsarbeiten erfolgen, denn Kabel enthalten unser Produkt. Die Feuerfest-Industrie hatte bis Herbst vergangenen Jahres noch keine Probleme - dort sind die Aussichten allerdings inzwischen unsicher. Für dieses Jahr haben wir deshalb Mengenverluste eingeplant. Ich bin jedoch zuversichtlich, daß wir diese durch Preiserhöhungen abfangen können.

Warum ist die Nabaltec als Familienunternehmen eine Aktiengesellschaft?

Witzany: Als ich 1996 als vorheriger Spartenleiter der damaligen VAW (die Vereinigten Aluminiumwerke, heute Teil der Norsk Hydro ASA - die Redaktion) im Rahmen einer Strukturänderung im Konzern über ein management buy-in zu entscheiden hatte, habe ich mit meinem Vorstandskollegen Johannes Heckmann, dessen Familie Inhaber der Amberger Kaolinwerke war, diese Alternative gewählt. Heute sind knapp 60 Prozent der Aktien im Familienbesitz, der Rest im freien Handel.

Als mittelständisches Unternehmen mit über 300 Mitarbeitern haben Sie sich auf mineralische Rohstoffe wie Aluminiumhydroxyd oder -oxyd spezialisiert, die als Beimischungen den Kunststoffen neue technologische Eigenschaften geben. Als Spezialist für Brandschutz haben Sie sich mit ihren flammhemmenden Produkten einen Namen gemacht. Seit 2006 haben Sie auch eine Produktionsstätte in den USA. Wie kam es zu dem unternehmerischen Erfolg?

Witzany: Als Spezialitätenunternehmen innerhalb des Großkonzerns VAW konnten sie sich nicht so entwickeln, wie sie es gerne getan hätten, denn bei VAW gab es keine Synergien mit dem Produkt Aluminium. Als selbständiges Unternehmen konnten wir uns dann aber klar fokussieren. Mit gezielten Produkten konzentrieren wir uns auf ganz bestimmte Märkte.

Wo sehen Sie Ihre Stärken als Mittelständler gegenüber Ihren Wettbewerbern?

Witzany: Wesentlich kürzere Entscheidungswege gegenüber unseren Wettbewerbern, die meist Großkonzerne sind. Dazu haben wir nicht diesen Rechtfertigungsdruck wie die breitgestreuten Aktiengesellschaften, wo auch der finanzielle Erfolg einer Aktion schwieriger zu verfolgen ist.

Sie sind auch in China aktiv. Haben Sie keine Sorge vor Know-How-Diebstahl?

Witzany: Nein! Solange wir nur nach China liefern und dort nicht produzieren, haben wir weniger Angst davor. Ein mögliches Joint-Venture in China würden wir uns sorgfältig überlegen.

Auch schon vor der Finanz- und Wirtschaftskrise hatte die deutsche Politik vor allem die Interessen von Banken und Konzernen im Blick. Was bedeutet das für Sie als global liefernder Mittelständler?

Witzany: Das politische Unverständnis aller Parteien für den Mittelstand ärgert einen schon. Wir müssen deshalb selber handeln. Beispielsweise können Kooperationen mit örtlichen Gymnasien dazu beitragen, den jungen Leuten die Marktwirtschaft und die Rolle des Mittelstands aus der eigenen Praxis zu erklären und damit Verständnis für ökonomische Zusammenhänge zu entwickeln. Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht.

Mit einem Anteil von über 60 Prozent am Bruttosozialprodukt ist die mittelständische Wirtschaft der bedeutendste Wirtschaftsfaktor in Deutschland - wegen ihrer heterogen Struktur als Sprachrohr in der Öffentlichkeit aber nur unterrepräsentiert. Ist das ein Nachteil?

Witzany: Eindeutig ja, weil die Wirtschaftspolitik nicht auf den Mittelstand eingeht! Ich sehe derzeit keine andere Lösung, als das Verständnis durch uns selbst von unten aufzubauen.

Wie sehen Sie Ihre eigene und die Zukunft des deutschen Mittelstands insgesamt?

Witzany: Natürlich ist dies abhängig von der Branche und den Produkten. Entscheidend sind Kreativität und der Wille, sich weiterzuentwickeln. Japan versucht inzwischen durch ausgedehnte Managementkurse vom Kopie-Image wegzukommen. Die größte Gefahr für familiengeführte Unternehmen sehe ich in deren Neigung, sich ausschließlich aus eigenen Reihen weiterzuentwickeln. Gerade heute braucht man neues Wissen, auch zusätzliches Management von außen.

Welche Probleme sehen Sie für Ihr Unternehmen durch die Entwicklungen in der Bundes- und Europapolitik?

Witzany: Steuergesetzgebung, Regulierungswahn, gesteuert von Sachunkenntnis, das sind die Probleme von heute. Es fehlt ein Europapatriotismus, das heißt nach außen eine Einheit, wie sie etwa die USA praktizieren. Seitdem ich mit EU-Abgeordneten Kontakt hatte, wurde ich zum Europaskeptiker.

Hat sich Ihre Arbeit durch die Bürokratie der EU-Administration erschwert?

Witzany: Eindeutig ja! Die REACH-Verordnung (dient zur Bewertung und Zulassung von Chemikalien) kostet die europäische chemische Industrie sehr viel Geld. Im Gegensatz zu uns bleibt die Zementindustrie durch sehr sinnvolle Lobby-Arbeit von der REACH-Verordnung verschont, obwohl unser Produkt Aluminiumoxyd ein Mineral und kein chemisches Produkt ist.

Teile der Wirtschaft klagen trotz Wirtschaftskrise weiter über den Fachkräftemangel. Gehören Sie auch dazu?

Witzany: Bisher nicht. Wir haben hier eine andere Infrastruktur mit einer anderen Prägung als die Ballungsräume. Dank der Auszeichnungen in der Initiative "TOP Job" gelten wir in unserer Region als angesehener Arbeitgeber. Wir können uns daher den Nachwuchs, den wir brauchen, genau anschauen. Unsere Chemiker im Vertrieb beispielsweise müssen soziale Kompetenz haben, Potential für Führungsaufgaben besitzen und mit den Kunden gut zusammenarbeiten können.

Was planen Sie demnächst?

Witzany: Neue Produkte, die wir erfolgreich einführen müssen, weil viel finanzielles Engagement eingebaut wurde. Lernen, daß wir aus der Rolle des Qualitätsführers inzwischen in die Rolle des Marktführers gewechselt sind. In der Praxis heißt dies für unseren Vertrieb, als Basis für unser zukünftiges Wachstum die Kundenbindung zu erhalten.

 

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