© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/09 20. Februar 2009

"Williamson gab das Interview spontan"
Interview: Vize-Generaloberer Niklaus Pfluger über Bischof Williamson und die Angriffe gegen die Piusbruderschaft
Moritz Schwarz

Pater Pfluger, Sie waren soeben im Auftrag der Piusbruderschaft in Argentinien, um Bischof Williamson zu einem Widerruf seiner Aussagen zum Holocaust zu bewegen. Bis Ende Februar soll er sich endgültig äußern. Was, wenn er nicht widerruft?

Pfluger: Wie der Vatikan darauf reagiert, wissen wir nicht. Bis jetzt war für beide Seiten klar, daß die Äußerungen von Bischof Williamson nicht zu verwechseln und nicht zu vermischen sind mit dem Verhältnis der Priesterbruderschaft St. Pius X. zu Rom und mit den vom Papst gewünschten Bemühungen um eine Diskussion über das Konzil und um eine kanonische Regularisierung unserer Gemeinschaft. Wie die Bruderschaft reagiert, läßt sich am besten ablesen aus den Weisungen unseres Generalobern in den letzten drei Wochen. Es ging von Anfang an darum, die Bruderschaft zu schützen und ihre Aufgabe weltweit zu gewährleisten. Wenn Bischof Williamson seine Meinung in dieser konkreten Frage nicht revidiert, dann wird er in der Bruderschaft keine Funktionen mehr ausüben können, denn allein schon sein physisches Leben ist in Gefahr, ganz abgesehen von allen anderen Fragen. Ob er in diesem Fall sein Amt in die Hände Papst Benedikts XVI. zurücklegt oder sich selbst von der Bruderschaft zurückzieht, wissen wir nicht.

In einem Exklusiv-Interview mit dem "Spiegel" letzte Woche betont der Bischof, daß er nur widerrufen könne, wenn er ehrlich überzeugt sei. Mit welcher Entscheidung rechnen Sie ganz realistisch?

Pfluger: Dieses Interview war mit dem Generalobern abgesprochen. Es war für uns die "Ultima ratio", um Schaden von der Bruderschaft abzuwenden. Es ging darum zu zeigen, die Priesterbruderschaft denkt in dieser Frage nicht wie Bischof Williamson; sie ist nicht antisemitisch. Ihm gegenüber haben wir deutlich erklärt, daß unsere Aufgabe eine andere ist. Er hat sofort eingesehen, daß sein Interview im schwedischen Fernsehen eine große Unklugheit war und er dadurch der Kirche und auch der Bruderschaft geschadet hat. Ob er nun auch einsieht, in der Sache danebenzuliegen, wissen wir nicht, hoffen es aber.

Wieso hat er das Interview gegeben?

Pfluger: Das schwedische Fernsehen war vor Ort, weil ein ehemaliger Pastor der schwedischen Staatskirche in unserem Priesterseminar in Zaitzkofen zum Diakon geweiht wurde, was in Schweden auf große Resonanz gestoßen ist. Der Bischof erklärte sich spontan bereit, ein Interview zu geben. Die Reporter hatten ihn im unklaren gelassen, daß es ihnen weniger um religiöse Fragen als um eine Diskreditierung der Bruderschaft ging. Und eine Nähe zum Nazi-Regime ist weltweit der eigenen Sympathie abträglich. Entsprechend hatten sich die Reporter vorbereitet und dabei eine selbst uns bislang unbekannte ähnlich abwegige Äußerung des Bischofs von vor zwanzig Jahren gefunden. Die hielten sie Bischof Williamson dann vor. Mittlerweile wissen wir, daß die französische Hochgradfreimaurerei über eine Journalistin zum schwedischen Reporterteam Kontakt hatte. Wir wissen auch, daß mit der Ausstrahlung des Interviews bewußt gewartet wurde, um Druck auf den Papst auszuüben. Das war auch das Leitmotiv des ersten Spiegel-Artikels in dieser Sache: Das Dekret zur Exkommunikation sollte verhindert werden. Deutsche Kardinäle haben das Ihre zu dieser wüsten Kampagne beigetragen.

Wie steht man in der Piusbruderschaft intern zu Bischof Williamson?

Pfluger: Für uns gilt: Ein Bischof kann nur zu Fragen der Glaubenslehre und der Moral mit religiöser Autorität sprechen. Zu säkularen Fragen, und dazu gehören geschichtliche Fakten, hat die Kirche keinerlei Lehrautorität. In solchen Fragen kann jeder irren, selbst ein Bischof, selbst der Papst. Die Mission der Priesterbruderschaft ist die Wiederherstellung der klassischen Glaubenslehre, der Dogmen, innerhalb der Kirche und ihre Verbreitung über die ganze Welt, aber sicher nicht die Beteiligung an irgendwelchen historischen oder politischen Debatten.

Weiß Bischof Williamson das nicht?

Pfluger: Doch, das weiß er. Und er leugnet die historische Wahrheit nicht aus Bosheit, sondern weil er nicht auf dem aktuellen Stand der historischen Forschung ist. Aber er hat nicht beachtet, daß unsere Aufgabe eine ausschließlich religiöse ist. Dogmen sind der Religion vorbehalten, man darf sie nicht degradieren zu politischen oder ideologischen Meinungen und Streitfragen. Sie sehen, weshalb es gut und richtig ist, daß sich die Kirche nicht in tagesaktuelle Fragen einmischt. Sie soll auf die Beachtung der grundlegenden Prinzipien des Zusammenlebens achten, aber sich nicht in irdischen Details verzetteln. Das geht immer schief. Entweder führt es zu einem Eklat wie nun leider bei uns, oder die kirchliche Verkündigung verkommt zu einem saft-, kraft- und konturlosem Gutmenschentum, bei dem die aktuellen Themen so angesprochen werden, daß niemand sich auf den Schlips getreten fühlt. Beides ist schlecht.

Kritiker werfen Ihnen vor, zu Ihren Prinzipien gehöre auch Antisemitismus.

Pfluger: Angesichts der Tatsache, daß Jesus Christus in seiner menschlichen Natur Jude war, die Gottesmutter Maria, die Apostel, viele Kirchenlehrer alle Juden waren, würde uns ein Antisemitismus ja selbst in Frage stellen. Von Antisemitismus kann keine Rede sein. Bereits 1928 hat das Heilige Offizium, das Vorgängerorgan der jetzigen römischen Glaubenskongregation, in einem Dekret aufs schärfste jegliche Form von Antisemitismus verurteilt. Und mit Antisemitismus war jegliche Form von Haß oder Feindseligkeit gegen jenes Volk gemeint, das im Alten Bund das von Gott Auserwählte war. Antisemitismus war und ist unserem Gründer, Erzbischof Marcel Lefebvre, aber auch der Bruderschaft als Ganzes völlig fremd.

Besonders kritisiert wird, daß Sie am Karfreitag für die Bekehrung der Juden beten.

Pfluger: Wenn das antisemitisch ist, dann wäre das ganze Christentum antisemitisch. Der Missionsbefehl des Herrn - "Geht hinaus zu allen Völkern, predigt das Evangelium, tauft sie und lehrt sie alles halten, was ich euch gesagt habe" - bezieht sich auch auf die Juden. Nach der Bibel hat der Neue Bund, geschlossen durch Christus, eindeutig den Alten Bund mit den Juden aufgehoben. "Niemand kommt zum Vater außer durch mich", sagte Jesus selbst. Insofern ist klar: Wenn wir die Bibel ernst nehmen, dann ist das heutige Judentum eine religiöse Sackgasse. Auch die Juden müssen sich taufen lassen, wollen sie in den Himmel kommen. Das gilt für alle Menschen, gleich ob Agnostiker oder Angehörige irgendeiner anderen Religion oder christlichen Konfession: "Nulla salus extra Ecclesiam", "Kein Heil außerhalb der Kirche". Das ist ein Dogma. Es war innerhalb der katholischen Kirche insbesondere Kardinal Walter Kasper, der dem Papst heftige Vorwürfe machte, weil dieser eine Messe wieder erlaubte, die ein Gebet für die Bekehrung der Juden enthält. Seit wann, bitte schön, muß sich die Kirche von anderen Religionen vorschreiben lassen, für wen sie wie zu beten hat? Das ist einfach grotesk und hysterisch. Jeder fromme Jude, jeder eifrige Muslim betet täglich für die Bekehrung der Heiden, und dazu gehören für sie auch die Christen.

Hat sich die Kirche im II. Vatikanum nicht von solchen Dogmen getrennt?

Pfluger: Das behaupten einige Theologen. Und in der Tat gibt es zweideutige Textstellen. Das ist ja die Frage, zu der wir vom Papst eine Aussage erbitten. Steht dieses Konzil nun gegen die zweitausend jährige Tradition, oder ist es im Kontext der traditionellen Lehre zu verstehen? Wäre es nur im Kontext der Tradition zu verstehen, dann gäbe es keine theologischen Differenzen mehr. Ist es ein Traditionsbruch, dann bleiben wir bei den katholischen Dogmen, weil diese eben immer als unveränderliche und ewige Wahrheit verkündet worden sind. Daran sehen wir uns gebunden.

Macht sich der Papst diese Interpretation zu eigen, wird es schwer für einen Dialog mit Juden und anderen Religionen.

Pfluger: Man muß unterscheiden: Einen Dialog über praktische, humanitäre Fragen kann man schon führen. Etwa über die religiöse Betreuung in christlichen Krankenhäusern oder einen gemeinsamen Aufruf zum Frieden im Heiligen Land oder Gaza. Aber zur Frage des ewigen Lebens, der Rettung der Seele, da ist Dialog nicht vorstellbar. Da geht es um Mission und Bekehrung.

Dann hat Charlotte Knobloch recht, wenn sie sagt, der Papst müsse sich entscheiden, mit wem er Dialog führen will, mit der Piusbruderschaft oder mit den Juden?

Pfluger: Nein, das ist grundfalsch. Der Papst ist nicht dazu da, um mit irgendwem "Dialog" zu betreiben. Die Kirche, ja jede Religion, lebt doch nicht davon, sich auf irgendwelchen Konferenzen mit anderen Religionsvertretern zu treffen. Was für ein Unsinn! Es geht darum, daß die Mitglieder die Religion praktizieren und an die nächste Generation weitergeben. Und da sieht es nach fast fünfzig Jahren Umbau der Kirche im Geiste dieses Konzils verheerend aus. In Deutschland ist das vielleicht noch nicht so deutlich sichtbar, weil hier die Strukturen dank der Kirchensteuern aufrecht erhalten werden können auch ohne religiösen Elan. Deshalb schauen Sie lieber nach Frankreich. Dort liegt das Durchschnittsalter des Klerus in zahlreichen Bistümern längst über sechzig, ein Pfarrer ist für fünfzig, sechzig und im Zentralmassiv für noch mehr Pfarreien zuständig. Dort ist in zehn, zwanzig Jahren einfach Schluß. Dann hat sich die Frage nach dem Objekt eines Dialogs von selbst gelöst, weil es kein Subjekt mehr gibt. Und das sieht in anderen Ländern doch nicht anders aus. Ich bin eben aus Indien zurückgekommen. Ehemals mehrheitlich katholische Gebiete fallen wieder in Paganismus zurück, und dabei sind die katholischen Bischöfe und Priester federführend; das sind die Errungenschaften des Konzils. Wer etwa in Brasilien heute noch wirklich religiös ist, der ist entweder evangelikal oder traditionell-katholisch. Hier ist die eigentliche Aufgabe des Papstes. Er muß sich entscheiden, ob er an dem Kurs der letzten fünfzig Jahre festhalten will oder den Mut hat, das Steuer herumzureißen.

Sehen Sie die Aufhebung der Exkommunikation in diesem Sinne?

Pfluger: Ja, ganz klar. Die Freigabe der lateinischen Messe, die ja die Messe aller Zeiten ist, und nun dieser wirklich mutige Schritt auf unsere Bischöfe zu lassen sich nur so verstehen. Papst Benedikt XVI. ist sicher der bedeutendste lebende Intellektuelle der westlichen Welt. Und deshalb können wir schon annehmen, daß er die Realität sieht - im Gegensatz zu Kardinal Lehmann und den meisten deutschen Bischöfen -, diesen in der ganzen Kirchengeschichte einmaligen Niedergang der christlichen Religion. Ich bitte Sie, das springt einem aus jeder Statistik ins Auge. Wir erleben doch seit den sechziger, siebziger Jahren keine Blüte des Christentums, sondern einen einzigen Niedergang.

Wird ein solcher Kurs viel Zustimmung unter den Katholiken ernten?

Pfluger: Vor einiger Zeit gab es in Deutschland eine Firma namens "Frosta", die produzierte Bio-Fertiggerichte. In allen Umfragen erklärten die Konsumenten, daß sie das für eine tolle Produktidee hielten. Nur gekauft hat's keiner. Noch einmal: Es zählen nicht Sympathiebekundungen in der Religion. Es zählen praktizierende Katholiken. Die übergroße Mehrheit derjenigen, die in den sechziger, siebziger Jahren der Kirche den Rücken gekehrt haben, die nicht mehr zur Messe gingen, nicht mehr die Moral beachteten, die fanden die Reformen nach dem Konzil ganz toll. Gegangen sind sie trotzdem. Sie können eine Religion nicht wie eine politische Partei nach Sympathiewerten beurteilen. Dann wäre der Islam keine Herausforderung für uns. Es geht um Fakten. Der Glaube basiert auf Realitäten. An der Börse ist das nicht anders. Eine Zeitlang hält die Kurseuphorie auf den versprochenen Gewinn. Aber wenn nach Jahren die Umsatzzahlen immer noch nicht steigen, platzt die Spekulationsblase. Und die Konzilsblase platzt auch.

 

Pater Niklaus Pfluger, Jahrgang 1958, ist Erster Assistent Bischof Bernard Fellays, des Generalobern der Priesterbruderschaft St. Pius X. Internet: www.fsspx.info/

Foto: Papst Benedikt XVI. vor amerikanischen Juden: "Eines Tages wird auch die Konzilsblase platzen"

 

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