© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/09 20. Februar 2009

"British jobs for British workers"
Großbritannien: Traum vom Jobwunder geplatz - Arbeitnehmerfreizügigkeit spaltet Europa
Michael Paulwitz

Sind Großbritanniens Gewerkschafter Rassisten? Mit dem Schlachtruf "Britische Jobs für britische Arbeiter" streikten Beschäftigte der Energieindustrie auf der Insel gegen die Verdrängung einheimischer Kollegen durch ausländische Leiharbeiter. Die gut einwöchige Protestwelle hat das Bild Großbritanniens als Musterbeispiel für die vermeintlich segensreichen Folgen von EU-Osterweiterung und Arbeitsmarktöffnung schwer erschüttert. Rezession und steigende Arbeitslosigkeit geben den Euroskeptikern Auftrieb.

Die Proteste hatten am 28. Januar mit einem wilden Spontanstreik in der Raffinerie Lindsey an der englischen Ostküste begonnen. Der französische Mineralölkonzern Total, dem diese drittgrößte Raffinerie Großbritanniens gehört, hatte nach einer EU-weiten Ausschreibung einen Auftrag für Erweiterungsarbeiten an die italienische Baufirma IREM vergeben, die - wiederum konform mit EU-Recht - von rund dreihundert italienischen und portugiesischen Leiharbeitern ausgeführt werden sollten. An mehreren anderen Raffinerien und Kraftwerken, darunter den Atomanlagen Sellafield und Heysham, solidarisierten sich streikende britische Energie-Arbeiter mit dem gut einwöchigen Ausstand ihrer Kollegen in Lindsey.

Diskriminierung britischer Arbeiter?

Auf ihre Gewerkschaften konnten sich die empörten britischen Arbeiter dabei verlassen. Die Vorlage für ihre Streik-Parole "British jobs for British workers", die in den Reihen hiesiger Gewerkschaften fraglos umgehend die unvermeidlichen "Rassismus"-Riecher auf den Plan gerufen hätte, stammte freilich auch von Labour-Premierminister Gordon Brown persönlich, der sich für diesen 2007 ausgegebenen Slogan prompt harte Kritik des neukonservativen Tory-Oppositionsführers David Cameron anhören mußte. Zwar versäumten die Gewerkschaften nicht klarzustellen, der Protest richte sich nicht "gegen ausländische Arbeiter", sondern gegen die Diskriminierung britischer Arbeiter durch ausländische Firmen.

In der Praxis läuft dies freilich auf dasselbe hinaus. Nach einwöchigem Streik konnte GMB, mit 600.000 Mitgliedern eine der größten britischen Gewerkschaften, einen Erfolg vermelden: In zähen Verhandlungen hatte man 102 Arbeitsplätze für Einheimische herausgeholt.

Damit war zumindest der aktuelle Protestanlaß besänftigt. Premier Brown war sichtlich in die Bredouille geraten: Einerseits signalisierte er Verständnis für die Arbeiterproteste, andererseits kritisierte er die Streiks als "kontraproduktiv" und "nicht gerechtfertigt": "Protektionismus" könne das Land nur isolieren und die Krise verschärfen. Damit argumentierte Brown beinahe wortgetreu auf der von EU-Beschäftigungskommissar Vladimír Špidla vorgegebenen Linie.

Deutlicher wurden die Außenminister der "Entsendestaaten" Italien und Portugal. Luís Filipe Marques Amado warnte vor einem "protektionistischen, ausländerfeindlichen, nationalistischen Trend". Offenkundig bildet sich in der EU eine Frontstellung zwischen Profiteuren und Lastenträgern der Arbeitsmarktöffnung heraus - mit dem Potential, die Union zu spalten. Das mag die Zurückhaltung des tschechischen Sozialdemokraten Špidla erklären, der die britischen Streiks eher verhalten und indirekt verurteilte.

Schon vor den Streiks hatte der Mythos vom Jobmotor Einwanderung Risse bekommen. Ein Bericht des Wirtschaftsausschusses im britischen Oberhaus hatte schon 2008 festgestellt: Nutznießer der Einwanderung sind Unternehmen und künftige Einwanderer, aber nicht die britischen Bürger selbst. Denn das von Einwanderung induzierte Wachstum schaffe vor allem solche Arbeitsplätze, die später von weiteren Immigranten eingenommen werden müßten. Diese seien zudem vor allem im Segment der Geringqualifizierten tätig, wo der Konkurrenz- und Verdrängungsdruck auf einheimische Arbeitskräfte groß ist - besonders in Zeiten der Rezession.

Der EU-Arbeitsmarkt steht vor unruhigen Zeiten

Die Arbeitslosigkeit in Großbritannien ist in wenigen Krisenmonaten bereits auf 6,1 Prozent angestiegen. Jeder Zweite fürchtet sich vor Entlassung - da bleibt wenig übrig für abstrakte EU-Begeisterung. Um so fruchtbarer ist der Nährboden für euroskeptische Gefühle. Die Tories, die Brown mit harschen Attacken zur Entschuldigung für seinen von den Gewerkschaften übernommenen "British workers"-Slogan aufgefordert haben, werden davon freilich kaum profitieren. Um so ungenierter frohlockt dagegen die rechte Unabhängigkeitspartei (UKIP) angesichts der Streiks und sieht ihre Bedenken gegen den gemeinsamen europäischen Arbeitsmarkt bestätigt.

Als Paradebeispiel für dessen Segnungen taugt Großbritannien nur noch bedingt. Unermüdlich hatten in den letzten Jahren Einwanderungslobbyisten aus der Wirtschaft wie die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) unter Berufung auf die "positiven Erfahrungen" in Großbritannien dafür getrommelt, die nach der 2+3+2-Regel mögliche maximal siebenjährige Begrenzung des Zugangs auf die Arbeitsmärkte nicht voll auszuschöpfen, sondern die Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus den osteuropäischen Beitrittsländern, die 2011 ohnehin kommen soll, bereits 2009 herzustellen.

Auch in anderen Ländern werden sich Gewerkschaften gegen ausländische Jobkonkurrenz verwahren müssen, wenn sie ihre Aufgabe und die Sorgen ihrer Gefolgschaft ernst nehmen. Wenn demnächst die letzten Schranken fallen, kommen auf den europäischen Arbeitsmarkt unruhige Zeiten zu.

Der Oberhaus-Bericht (House of Lords Paper 82-1: The Impact of Immigration) steht im Internet: www.publications.parliament.uk/pa/ld200708/ldselect/ldeconaf/82/82.pdf

Foto: Proteste gegen ausländische EU-Arbeitskräfte in Großbritannien: "Nationalistischer Trend"

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