© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/09 27. Februar 2009

Die Krise als Lehrmeister
In Zeiten wirtschaftlicher Not zeigt sich die verkannte Stärke des deutschen Mittelstands
Michael Paulwitz

Politiker leben gut mit ihren Widersprüchen. Wer heute mit Milliardensubventionen und Rettungsschirmen um sich wirft wie der Jeck mit Karnevalskamellen, hat gestern vielleicht noch den ehrbaren, der waghalsigen Spekulation wie dem schnellen Übervorteilen abgeneigten Kaufmann beschworen und die Vorzüge der klug rechnenden schwäbischen Hausfrau gepriesen, der es ein Graus ist, über ihre Verhältnisse zu leben. Beide, Kaufmann und Hausfrau, sehen dem Bonbonregen der Milliardenretter unbehaglich zu, weil sie wissen, daß sie ihn eines Tages bezahlen werden müssen. Doch während das öffentliche Renommee der smarten Investmentbanker mittlerweile auf das von Kriminellen abgesackt ist, steigen die Kaufmanns- und Hausfrauentugenden im Zuge der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise im Kurs und stehen vor einer Renaissance.

Allem Alarmismus zum Trotz: Die deutsche Wirtschaft steht im internationalen Vergleich noch gut da. Das Platzen der schillernden Seifenblasen des Turbo-Finanzkapitalismus anglo-amerikanischer Prägung hat dessen Erfinder und Mitzocker am schwersten getroffen. Die oft gescholtene zögerliche Vorsicht der Deutschen, sich nicht Hals über Kopf ins große Spiel mit gepumptem Geld und fiktiven Werten zu stürzen, erweist sich in der Krise als Aktivposten.

Lehrgeld mußte dennoch bezahlt wurden. Banken, die geglaubt hatten, beim Spiel ums schnelle Geld mit schön verpackten Giftpapieren mitzocken zu müssen, stehen vor dem Abgrund. Kommunen, die dem Lockruf amerikanischer Steuersparmodelle erlegen waren und im Rahmen des „Cross Border Leasing“ ihre Infrastruktur an US-Firmen verkauft und zurückgemietet hatten, um sich mit dem Investor den Steuervorteil zu teilen, müssen ihren Bürgern reumütig eingestehen, daß sie Millionen in den Sand gesetzt haben. Unternehmen, die das angelsächsische Credo mitgesungen, ihr vermeintlich unproduktives Eigenkapital abgebaut und durch scheinbar billige Fremdmittel aus Krediten ersetzt haben, sind die ersten, die ins Schlingern geraten. Firmen wie die schwäbischen Traditionsmarken Boss und Märklin, die von Finanzinvestoren übernommen, auf diesen Weg gezwungen und ausgesaugt worden sind, wirken wie eine Bestätigung der schlimmsten „Heuschrecken“-Klischees.

Die Krise gebiert unerwartete Einsichten. Geldinstitute entdecken den Privatkunden und Kleinanleger wieder als Garanten für bescheidenere, dafür verläßliche Liquidität im soliden, wenn auch nicht sonderlich aufregenden Kreditgeschäft mit der mittelständischen Wirtschaft. Sparkassen und Genossenschaftsbanken, die sich auf dieses beschränkt und die Finger von undurchschaubaren Zockerpapieren gelassen haben, stehen seltsam ungerührt im Krisensturm und freuen sich sogar über neuen Zulauf. Aufmerksamen Politikern ist nicht entgangen, daß die im Namen des Wettbewerbs auf Druck der EU eben abgeschaffte staatliche Gewährträgerhaftung für öffentlich-rechtliche Finanzinstitute auf Dauer sicherer, effizienter und billiger sein dürfte als Rettungs-Finanzspritzen und Banken-Verstaatlichungen. Die im Zuge der europäischen Harmonisierung gefeierte Einführung des internationalen, dem angelsächsischen Recht nachgebildeten Bilanzierungsstandards IFRS, der mit Vermögensbewertungen zu Tageskursen in guten Zeiten die Kreditspielräume von Unternehmen und Banken erweitern sollte, wird zunehmend als Brandbeschleuniger erkannt; schon wird zur Entlastung angeschlagener Geldhäuser die Rückkehr zur bewährten HGB-Bilanz nach Buchwerten empfohlen.

Der noch gesunde Kern der deutschen Wirtschaft, der hinter dem weggebrochenen Blendwerk zum Vorschein kommt, ruht auf dem mittelständischen Familienunternehmer, der in Jahren und Generationen denkt und nicht in Quartalsbilanzen; der seine Mitarbeiter nicht als Kostenfaktor sieht, sondern als Erfolgspartner, mit denen er in wechselseitiger Verantwortung verbunden ist; der weiß, daß für das langfristige Gedeihen Vertrauen und Verläßlichkeit schwerer wiegen als Augenblicks-Vorteilsnahme um jeden Preis.

Daß unter denen, die sich verspekuliert haben, auch mittelständische Schwergewichte wie die Schaeffler-Familie oder der Ratiopharm-Patriarch Adolf Merckle zu finden sind, entwertet den Befund nicht. Es sind die skrupellosen Investmentbanker, die Milliarden vernichten und dennoch auf Erfolgsprämien in zigfacher Millionenhöhe klagen.

Nur zögerlich zieht die Politik Konsequenzen aus den Lehren und Erkenntnissen dieser Weltwirtschaftskrise. Amerika rennt auch unter seinem neuen Präsidenten beschleunigt in die Sackgasse: Eine schuldeninduzierte Krise mit Rekordschulden zu bekämpfen, erinnert an den Versuch, Feuer mit Benzin zu löschen. Mit das Beste, was man über die Merkelschen Konjunkturpakete sagen kann, ist das, was am meisten daran kritisiert wird: daß sie nicht so groß ausfallen wie das US-Vorbild und sich vielen ausufernden Ansprüchen widersetzen. Dennoch: Konsumprämien und Staatsbeteiligungen retten nichts, sie konservieren zu hohen Kosten fehlgesteuerte Überkapazitäten und überholte Mentalitäten, statt das dringend erforderliche Umdenken einzuleiten.

Ein ehrbarer Kaufmann oder verantwortungsbewußter Firmenlenker erwartet vom Staat keine Rettungspakete, sondern Rechtssicherheit, eine verläßliche Ordnung, Befreiung von überflüssiger Bürokratie und Steuerlast, gerechte Rahmenbedingungen, bei denen kein Konkurrent staatlich gepäppelt wird, weil er mehr Arbeitsplätze vorweisen kann, unbedingte Achtung des Privateigentums und der Früchte persönlicher Leistung, Schutz vor heimlicher und offener Enteignung.

Ein erster Schritt zum Wertewandel wäre die Abkehr von der Verherrlichung des Konsums um jeden Preis und die Rehabilitierung des Sparers, einst Grundlage des deutschen Wirtschaftswunders. Nur wer spart, kann investieren, Bleibendes schaffen, Wohlstand mehren. Wirtschaft braucht Werte – und einen ordnenden Staat, der mit gutem Beispiel vorangeht.

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