© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/09 27. Februar 2009

Falsche Tatsachen
Geburtsstatistik: Wahrheit und andere kleinbürgerliche Gewohnheiten
Jürgen Liminski

Die Zahl der Geburten in Deutschland steigt, jedenfalls bis September letzten Jahres schien es so. In den ersten drei Quartalen 2008 zählte man rund 3.400 Kinder mehr. Die Familienministerin hält das für eine „Trendwende“, und ihre publizistischen Hilfstruppen jubeln die Zahl sogar zu einer „schwungvollen Trendwende“ hoch. Das ist nun nicht nur übertrieben, sondern Vorspiegelung falscher Tatsachen. Und zwar in der Begrifflichkeit ebenso wie in den absoluten Zahlen.

Zu den Begriffen: Bei Abweichungen in einer Größenordnung von unter zwei Prozent sprechen die Demographen von Schwankungen im Zufallsbereich. Bei den Geburtenzahlen bis September 2008 liegen sie deutlich unter einem Prozent. Von einer Trendwende kann also defintiv keine Rede sein.

Zu den Zahlen: 2008 war ein Schaltjahr, hatte also einen Tag mehr, also rund 1.700 Geburten zusätzlich. Da halbiert sich schon mal die Jubelzahl der Ministerin und ihrer ideologischen Truppen. Und hätte die Phalanx, um nicht zu sagen Falange, noch eine Woche gewartet, dann hätte sie in den Tabellen des Statistischen Bundesamtes nachlesen können, daß die Zahl der Geburten im Oktober 2008 nicht gestiegen, sondern um 7.701 gesunken ist im Vergleich zum Oktober 2007 und insgesamt jetzt im Minusbereich liegt. Die „Trendwende“ löst sich in Mißfallen auf, aber darüber redet natürlich keiner mehr.

Die Wirtschaftskrise verstärke den Wunsch nach Kindern, meint die Ministerin, „wenn die Wirtschaft wankt, hat die Familie Konjunktur“. Für wie dumm hält sie die Bürger? Die Geschichte lehrt das Gegenteil. Man schaue sich die Statistiken der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts oder auch die der Nachkriegszeiten an. Sie belegen: Wirtschaftskrisen lassen die Geburtenzahlen einbrechen. Das ist auch evident. Denn ein entscheidender Faktor für die Familiengründung ist die Sicherheit des Arbeitsplatzes. Die ist in Krisenzeiten natürlich geringer.

Das ist auch ohne historische Kenntnisse einleuchtend. Nicht so für Ursula von der Leyen. Sie hat offenbar ihr eigenes Geschichtsbild. Die Wahrheit kann warten.

Wer dennoch mit der Wahrheit kommt, der wird offiziell gedeckelt. Entweder man hängt ihm ein Miesmachermäntelchen um, oder man verbreitet mit der Autorität des Amtes und dem Anschein der Wissenschaft wieder falsche Zahlen. So geschehen bei der Vorstellung des Familien-Survey. Da wurde einfach behauptet, die Geburtenzahlen in den neuen Bundesländern nähere sich wieder dem westdeutschen Niveau, während sie in Tschechien auf dem niedrigen Stand von einem Kind pro Frau verharre und das wegen der privaten Betreuungssituation.

 Im Klartext: Wo der Staat die Betreuung übernimmt, steigt die Geburtenquote, wo die Familien selbst betreuen, sinke oder verharre sie auf niedrigem Niveau. Der Haken an der Sache: Die Geburtenzahlen in Tschechien steigen und lagen 2007 mit 1,44 Kindern pro Frau über der Zahl in Mitteldeutschland. Wir haben es hier erneut mit amtlichen Falschmeldungen zu tun. Das erinnert an vergangene Zeiten und paßt gut zu dem Krippenwahn à la DDR. Der Hintergrund ist klar: Die tschechische EU-Ratspräsidentschaft stellt ganz offiziell die Betreuungsideologie in Frage.

Die Ideologie hat Methode. Es handelt sich, wie der Familienforscher Stefan Fuchs herausgearbeitet hat, um eine „De-Familiarisierung“, die auf den schwedischen Radikalfeministen Gunnar Myrdal zurückgeht und die Auflösung der Familie im Sinne der Zuführung beider Eltern in den Arbeitsprozeß anstrebt und deshalb sowohl die Betreuung der Säuglinge als auch die Pflege der Alten in Staatshand geben will.

Das ist ein im Grunde marxistisches Werte-und Denksystem, ganz nach der Auffassung von Friedrich Engels und Karl Marx: Fabrik und Arbeit vor Erziehung und Betreuung, das Kollektiv regelt alles. Für solche Ideologen hat die Wahrheit auch nur einen untergeordneten Stellenwert, zu ihnen paßt der Satz, den Lenin an seinen Freund Tschitscherin schrieb: „Die Wahrheit zu sagen, ist eine kleinbürgerliche Gewohnheit.“

Damit gibt man sich freilich nicht ab, wenn es um eine höhere Sache, um die Sache des radikalfeministisch, das heißt gender-gerecht zu erziehenden Volkes geht. Da wird halt gejubelt, solange es die Zahlen irgendwie hergeben, und eisern geschwiegen, wenn sie es nicht tun. Und im Zweifelsfall muß man sie dann eben zurechtbiegen.

Das ist das eigentliche Problem auch der Krise. Denn ähnlich verfahren Banker und Manager. Im leitenden Personal der Republik ist der Sinn für Verantwortung und Pflichtbewußtsein, für Aufrichtigkeit und Recht weitgehend verlorengegangen. Damit auch das Vertrauen. Vertrauen aber ist die Währung des Lebens. Das lernt man übrigens ganz früh, in der Familie.

Wer diese Eigenschaften und Werte aus ideologischer Hybris beiseite schiebt, der führt die Menschen in eine Wolfsgesellschaft mit Rudeln, Beute, Lügen und Konflikten zwischen Generationen, Interessen- und Klientelgruppen. Dieser Entwicklung könnte man entgegensteuern – mit mehr Gerechtigkeit für die Familie und dem Sinn für Ehrlichkeit und Wahrheit. Das ist nicht altmodisch, sondern einfach nur menschlich.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen