© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/09 27. Februar 2009

Lang lebe das Chaos
Politische Zeichenlehre LXVIII: A im Kreis
Karlheinz Weissmann

Das rasche Abebben der Jugendrevolte in Athen, die um die Jahreswende nicht nur Griechenland, sondern Europa in Atem hielt, spricht gegen die Annahme, daß man es mit einer politischen Bewegung im engeren Sinn zu tun hatte. „Anarchistisch“ waren die Ausschreitungen nur im Wortsinn, wegen ihrer Plan- und Ziellosigkeit, ihrer Chaotik und Neigung zu unmotivierter Gewalt.

Es wurde auch ganz zu Recht vermutet, daß schwarze Kleidung und schwarze Masken, schwarze Sterne, schwarze und schwarz-rote Fahnen und überhaupt das ganze anarchistische Outfit eher mit Mode zu tun hatte – es gibt mittlerweile Versandkataloge und entsprechende Angebote im Netz – als mit ernstgemeinter politischer Symbolik. Das hieße dann, daß der anarchistische Code im Augenblick seiner Allgegenwart jede Bedeutung verliert.

Dieser Prozeß hat sich lange vorbereitet und entspricht in vieler Hinsicht der Integration linker Symbole in die Popkultur, die seit den sechziger Jahren vollzogen wurde. Man kann das besonders deutlich an dem verbreitetsten anarchistischen Zeichen ablesen: dem „A“ im Kreis.

Nach üblicher Lesart steht es einfach für Anarchie, anarchy, anarchia, den Begriff, der im Griechischen „ohne Herrschaft“ bedeutet. Wer wenigstens etwas von der Tradition der anarchistischen Bewegung weiß, deutet das Symbol unter Verweis auf Pierre-Joseph Proudhon als Abkürzung für „Freiheit“ (das A) in „Ordnung“ (der Kreis). Kanonische Geltung hat diese Interpretation allerdings nie erhalten, und es ist auch nicht mehr zu klären, seit wann das Zeichen überhaupt verwendet wird.

In der Literatur findet sich regelmäßig der Hinweis auf ein Foto aus dem Spanischen Bürgerkrieg, das einen Soldaten der republikanischen Seite zeigt, auf dessen rückwärtiger Helmseite ein A im Kreis aufgemalt gewesen sein soll. Indes ist die Abbildung nicht klar zu identifizieren. Unbekannt scheint dagegen in anarchistischen Kreisen zu sein, daß das Comité de Milicias Antifascistas de Cataluña, das im Juli 1936 auf Weisung der katalonischen Generalitat gebildet wurde und vor allem aus Anarchisten bestand, eine quadratische schwarze Fahne mit rotem, eingekreisten A verwendete. Die Einheit ist sonst nicht besonders hervorgetreten, spielte aber sicher eine Rolle in den bunt zusammengewürfelten Streitkräften der Republik.

Das Motiv selbst dürfte zu dem Zeitpunkt in der spanischen Arbeiterbewegung längst bekannt gewesen sein, da die 1868 gegründete spanische Sektion der I. Internationale – Asociación Internacional de los Trabajadores (Internationale Arbeiter-Vereinigung) – ein A im Kreis verwendete; wobei das „A“ wegen des starken freimaurerischen Einflusses aus einem Winkel mit Querstab und Lot gebildet wurde.

Man sollte die Bedeutung dieses Modells aber auch nicht überschätzen, der anarchistische Einfluß in der Assoziation war schwach und für die Durchsetzung des Symbols entscheidender der Bedeutungszuwachs während des Bürgerkrieges, der im Grunde die gesamte Symbolsprache der „antifaschistischen“ Linken hervorbrachte.

Jedenfalls etablierte sich das Symbol nach dem Zweiten Weltkrieg rasch als fester Bestandteil anarchistischer Ikonographie. Seit 1956 führte es die belgische Anarchistische Arbeiterallianz (Alliance Ouvrière Anarchiste), seit 1964 die französische Libertäre Jugend (Jeunesse Libertaire) und seit 1968 der Circolo Sacco & Vanzetti in Mailand. Seine eigentliche Popularität gewann es allerdings erst mit der Verwendung während der Studentenrevolte in Frankreich, die auch die schwarze Fahne wieder zu Ehren brachte.

Zwar war der Anarchismus nur eine unter mehreren Unterströmungen der Neuen Linken, hat deren Zeichensprache aber besonders nachhaltig geprägt. Angesichts der kulturrevolutionären Wirkungen des „Roten Mai“ nicht verwunderlich, drang die in den siebziger Jahren auch in die jugendliche Musikszene ein, was das Auftauchen des A im Kreis in der Punkszene (Sex Pistols) und damit die zunehmende Entpolitisierung erklärt, die irgendwann dazu führte, daß das Symbol – an eine Wand geschmiert, als Button oder Aufnäher getragen – kaum mehr etwas aussagte, jedenfalls Benutzer selten erklären können, wofür sie da eigentlich politisch Reklame laufen.

Die JF-Serie „Politische Zeichenlehre“ des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

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