© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/09 27. Februar 2009

Capos im Fußball: Der Dirigent des Fanblocks und sein Gespür für Leidenschaft
Das Gehabe eines Volkstribuns
Fabian Flecken

Sie sind laut, und das Megaphon macht sie noch lauter. Sie lieben ihren Verein, und doch wenden sie dem Geschehen auf dem Platz überwiegend den Rücken zu. Auf Spiel und Atmosphäre haben sie mehr Einfluß als jeder andere Stadionbesucher. Sie peitschen ihre Mannschaft nach vorne, ob diese erfolgreich spielt oder nicht. Dem Chaos der divergierend brodelnden Fangesänge geben sie eine vehemente Form und stellen eine Autorität in den Arenen der Republik dar – die Capos.

Viele kennen den Begriff im Zusammenhang mit der italienischen Mafia. Doch hier handelt es sich nicht um die Oberhäupter diverser Familien der organisierten Kriminalität, sondern um die ,,Bosse“ in den Kurven. Man könnte sie auch „adrenalingetränkte Vorsänger“ nennen, welche in martialischen Ritualen die Hingabe an ihren Klub zelebrieren. Sie koordinieren oft Tausende Kehlen und geben die Schlachtgesänge vor, die ein vielstimmiger überwiegend männlicher Chor an Anhängern umsetzt.

Ihr breites Repertoire reicht vom berauschten Lobgesang auf Vereinshistorie und gegenwärtige Erfolge über Spottgesänge auf Mannschaft, Trainer und Vorstand bis zu haßerfüllten Verbalattacken auf den Gegner. Für den Stadiongänger gehören sie mittlerweile zum Fußballalltag. Doch wo die Wurzeln der rigorosen Einheizer liegen und was sie wollen, verschließt sich dem durchschnittlichen Vereinsanhänger in der Regel.

Seinen Anfang nahm das Phänomen der Capos in den Stadien Italiens. Die dortige Fanszene brachte es schon in den 1950er und 1960er Jahren zur Gründung erster „Ultras“-Vereinigungen. Diese Zusammenschlüsse unterscheiden sich von anderen Fanclubs in ihrem offensiven Bekenntnis zur radikalen und unnachgiebigen Dauerunterstützung ihrer Mannschaft, der Betonung auf Eigenständigkeit gegenüber den Vereinsstrukturen, einem hierarchischen Aufbau, dem elitären Selbstverständnis ihres Engagements und offener Gegnerschaft zur Kommerzialisierung des Fußballs.

In Teilen ihrer Mitgliedschaft schließt die Hingabe an den Verein auch die Anwendung von Gewalt ein. Nach dem Höhepunkt der italienischen „Ultras“-Bewegung in den 1980er Jahren und der raschen Ausbreitung in ganz Südeuropa erreichte diese spezifische Art der Fußball- und Vereinsbegeisterung in den Neunzigern auch deutsche Arenen. Im Unterschied zu den oft politisch aufgeladenen Vorgängern in Italien blieben sie hierzulande aber meist betont unpolitisch. Die erste namentliche „Ultras“-Gruppe mit eigenem Capo stellten die radikalen Anhänger der Frankfurter Eintracht „Ultras Frankfurt“ im Jahr 1997 dar.

War die deutsche Fankultur bisher stark von der ursprünglich anarchisch-egalitären Form der Unterstützung in den Stadien Englands geprägt, wo sie eher spontan und nur bedingt strukturiert daherkam, so stand die neue Bewegung für eine straffe Organisation und verbindliches Engagement für die Sache über die neunzig Minuten hinaus: von aufwendig inszenierten Choreographien auf den Rängen und oft pathetischen Spruchbandlosungen bis hin zum Einsatz des Capos, des „Dirigenten“ vorm Fanblock. In den meisten Fällen rekrutiert sich der Capo aus den Reihen der „Ultras“ oder ähnlicher Gruppen. Ihre Autorität verleiht den „Bossen der Kurven“ die Loyalität der Gefolgschaft. Ohne diese Autorität und vor allem ohne das Gespür und die Leidenschaft eines Volkstribuns könnte kein Capo sich lange auf seiner Position halten.

So ist etwa Eintracht-Frankfurt-Capo Martin Stein ein Beispiel für jene Einpeitscher, die sich „von unten“, durch persönliches Engagement und allseits akzeptierte Fähigkeiten ihren Platz eroberten und verteidigen – in seinem Fall seit über zehn Jahren. Andere von ihnen wie der Vorsänger des Hamburger SV, Johannes Liebnau, versuchen sogar im Verein aktiv an Einfluß zu gewinnen. Er setzte jedoch erfolglos zum Sprung in den Aufsichtsrat der Norddeutschen an.

Mittlerweile regt sich aber auch Protest gegen die importierte Capo-Kultur und ihren hohen Grad an vermeintlich autoritärer Bevormundung. Kritiker mahnen das geringe Maß an Spontanität und Heterogenität an. Beim 1. FC Köln brach beispielsweise zu Beginn der Saison während eines Heimspiels ein offener Streit unter den Anhängern aus, nachdem zwei neue Capos Teilen der Anhängerschaft mißfielen und sich angestauter Unmut unter den Befürwortern der alten, unkoordinierteren Unterstützungsformen Luft machte. Ob man es nun also mit dem legendären Capo Napolis Enzo Busiello hält, der „Gottes Segen erbittet, weil die Ultras das Herz des Fußballs sind“, liegt letztlich im Auge des Betrachters.

Foto: Capo von Dynamo Dresden: Spaß an martialischen Ritualen

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