© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/09 06. März 2009

Die Rechnung, bitte!
Euro in der Krise: Deutschland wird die Einheitswährung teuer zu stehen kommen
Wilhelm Hankel

Die Nachkriegsdeutschen erleben zum zweiten Mal die Magie einer Währung. Die 1948 eingeführte D-Mark hatte aus dem westlichen Teil des Landes eine Wiederaufbau-Genossenschaft gemacht und danach einen vielbestaunten Exportweltmeister. Nachdem sich dank der D-Mark Arbeit wieder lohnte, produzierte die industriestarke Bundesrepublik Jahr für Jahr mehr als sie selber brauchen und konsumieren konnte. Von vier in Wolfsburg produzierten Volkswagen konnte nur einer im Inland verkauft werden, drei mußten exportiert werden.

Den anderen Autobauern, Maschinenherstellern, Pharmaproduzenten und Anbietern moderner Haushalts- und Elektrogeräte ging es ähnlich. Westdeutschland mußte exportieren, weil sein Binnenmarkt nach Abspaltung der DDR für Produktivität, Fleiß und Innovationskraft seiner arbeitenden Bevölkerung zu eng und nur bedingt aufnahmefähig war. Die Gewerkschaften begriffen nicht, welche Chancen ihnen die überdimensionierten Exportüberschüsse boten. Statt die Löhne eng an die ins Kraut schießenden Unternehmergewinne und Managergehälter anzukoppeln und den Binnenmarkt auszuweiten, hielten sie „Disziplin“ und sorgten für exportgerechte Lohnstückkosten. Sie tun es noch heute und tragen daher Mitschuld an der „Exportlastigkeit“ der Volkswirtschaft, der von ihnen angeprangerten „Gier“ der Wirtschaftselite und daran, daß sich das anschwellende Volksvermögen immer ungleicher auf Vermögende und normale Arbeitnehmer verteilt.

Aber noch fataler war die Kollektiveinstellung der deutschen Politikerkaste nach dem Glücksfall der Wiedervereinigung vor knapp 20 Jahren. Statt aus der ausgepowerten DDR ein zweites Westdeutschland zu machen, wofür die Beibehaltung der D-Mark unerläßlich gewesen wäre (dafür war ja „drüben“ das Volk auf die Straße gegangen!), beschlossen ein „Weltökonom“ (Helmut Schmidt), ein „Enkel Adenauers“ (Helmut Kohl) und beider ewiger Außenminister (Hans-Dietrich Genscher), in überparteilichem Konsens die D-Mark als Lokomotive für die Fahrt in ein vereintes Europa in Zahlung zu geben.

Deutschlands Nachbarn und „Freunde“ begriffen auf Anhieb, was ihnen das D-Mark-Opfer einbrachte: Deutschland würde als Bankier Europas mit seinen laufend im Export verdienten Euro und US-Dollar die Defizite seiner Währungspartner finanzieren. Dafür, daß sie über ihre Verhältnisse leben, hatte es ihnen einen Blankoscheck ausgestellt. Aber auch die deutsche Exportwirtschaft (samt ihrer Hausbanken) witterte das Geschäft. Über das System europäischer Zentralbanken (EZBS) erhielten die ehemaligen Schwachwährungsländer eine Währungsgarantie, die sie kreditwürdig machte und jene Mittel verschaffte, die sie zum Ankauf deutscher Waren benötigten. Wie schon zu D-Mark-Zeiten zogen Politik, Exportlobby und Hochfinanz an einem Strang – unter aktivem Stillhalten der Gewerkschaften. Und tun es noch immer! Was daran stört? Lediglich der Umstand, daß jetzt beide Seiten der Währungspartnerschaft pleite sind oder dicht davor stehen.

Die große Mehrheit der Euro-Staaten hat sich mit Hilfe ihres deutschen Bankiers bis zur Halskrause dem Ausland (und nicht allein Deutschland) gegenüber verschuldet. Die ausländischen Geldgeber wollen nun ihr Geld zurück, denn sie glauben weder an die Eins-zu-Eins-Einlösbarkeit des schwachen Euro in den starken deutschen Euro noch an einen verlustfreien Eurotausch in den wieder erstarkenden Dollar. Nach zehn Jahren geräuschloser Euro-Finanzierung steht die Staatenwelt von Irland über Portugal, Spanien, Italien und Griechenland vor islandähnlichen Verhältnissen. Ihr droht eine Kombination aus Bank- und Staatsbankrott.

Und die Bankiersländer – neben Deutschland die Niederlande und Österreich – gleichen Wirten, die zuviel Freibier ausgeschenkt haben und nun selber vor der Pleite stehen. Sie müssen um die Werthaltigkeit ihrer Außenstände, Anlagen und Kredite zittern. Eine Währungsunion der Bankrotteure – wie soll das funktionieren? Dennoch klammern sich die Verantwortlichen mit dem Mut der Verzweifelten oder Unbelehrbaren, an das Absurditätsprinzip des „Was nicht sein darf – das nicht sein kann“. Doch jeder Euro, der jetzt noch in die zerbrechende Währungsunion investiert wird (etwa über „gemeinsame“ Euro-Anleihen), ist ein verlorener. Offen ist nur, wer sie als erster verläßt: Schuldnerländer, die sich ihren Verpflichtungen entziehen wollen oder ein Gläubigerland, dem das Geld zur Subventionierung der anderen ausgeht oder zu schade ist. Warum nicht Deutschland?

Das Aus für den Euro führt weder zum Untergang des Abendlandes noch Deutschland in die Sackgasse wegbrechender Exportmärkte. Diese könnten im Binnenmarkt oder anderswo ersetzt werden. Deutschland würde Europa den Ausweg aus der Krise zeigen, wenn es den Anstoß dazu gäbe, den vom tschechischen Staatspräsidenten Václav Klaus angeprangerten „Währungssozialismus“ zu beenden und die in den Euro-Staaten überfälligen Strukturreformen einzuleiten. Letztere können nur in nationaler Verantwortung und auf demokratischer Grundlage vorgenommen werden. Nur somit läßt sich eine an den Bedürfnissen des Volkes orientierte Wirtschafts-, Sozial- und Währungspolitik betreiben.

Diese Wahrheit wird weder durch die Mystik eines Währungsraumes (noch dazu unter ungleichen Partnern) ausgehebelt, noch läßt sie sich durch stabilitätswidrige Währungs- und Wechselkursgarantien der europäischen Zentralbanken untereinander vernebeln. Hätten sich Deutschlands Politiker an die Lehren der goldenen D-Mark-Jahre gehalten, weder ihr Land noch Europa stünden jetzt vor der Katastrophe. Doch noch läßt sie sich abwenden.

 

Prof. Dr. Wilhelm Hankel war unter Karl Schiller Leiter der Abteilung „Geld und Kredit“ im Bundeswirtschaftsministerium und Chef der Bank- und Versicherungsaufsicht.

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