© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/09 06. März 2009

„Bankrottgehen kann jedes Land“
Bricht die Finanzkrise dem Euro das Genick? „Möglich“, räumt Paul de Grauwe zögernd ein. Ein Streitgespräch des Euros auszugehen.
Jörg Fischer / Moritz Schwarz

Herr Professor De Grauwe, in einem Beitrag für die Londoner „Financial Times“ haben Sie geschrieben, mit dem Euro werde es keine Währungskrisen mehr geben. So etwas könne künftig „nur noch in der Dritten Welt passieren“. Doch nur eine halbe Fahrstunde von Ihrer Universität entfernt, tagte am Sonntag in Brüssel der EU-Sondergipfel zur Finanzkrise. Sind wir jetzt „die Dritte Welt“?

De Grauwe: Nein, ich finde, ich habe durchaus recht behalten. In der Euro-Zone gibt es keine Wechselkurse, also ist es auch nicht möglich, eine Wechselkurs-Krise zu erleben. Natürlich kann man andere Krisen haben, etwa eine Bankenkrise, wie wir jetzt. Aber was hat das mit dem Euro zu tun?

Wegen der Einheitswährung können die einzelnen EU-Staaten weder Wechselkurse noch Zinsen anpassen – und daher nicht adäquat auf die Krise reagieren.

De Grauwe: Gut, das stimmt, aber das ist nichts Neues. Wir alle wußten, als wir uns vor zehn Jahren für ein einheitliches Währungsgefüge entschieden haben, daß das der Fall sein würde. Ein einheitliches Währungssystem hat natürlich auch Nachteile.

Mit denen wir jetzt konfrontiert werden.

De Grauwe: Nachdem wir zuvor jahrelang die Vorteile genossen haben! Auf und ab – so ist es im Finanzleben. Als wir vor zehn Jahren die Währungsunion gründeten, haben wir zuvor alle Vor- und Nachteile gegeneinander abgewogen und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß die Vorteile überwiegen.

Das haben die Politiker, die den Euro unbedingt durchsetzen wollten, so behauptet.

De Grauwe: Natürlich ist das Ermessenssache. Aber ich bin Demokrat und deshalb halte ich es für recht und billig, auch anderer Meinung zu sein. Es ist legitim, wenn andere zu dem Schluß kommen, für sie überwiegen die Nachteile und sie deshalb meinen, es sei besser, die Euro-Zone zu verlassen. Das ist aber nicht meine Position – und ich würde davor auch warnen.

Zehn Jahre sind doch angesichts der Krise keine Erfolgsgeschichte?

De Grauwe: Worauf wollen Sie anspielen? Darauf, daß der Euro gegenüber dem Dollar an Wert verloren hat? Ich bitte Sie! Der Euro war die letzten fünf Jahre überbewertet. Von 2001 bis 2008 hat sich sein Wert von etwa 0,80 auf 1,60 Dollar verdoppelt – nun pendelt er sich eben auf einem vernünftigen Niveau ein. Andersherum hat der Dollar folglich bis 2008 gegenüber dem Euro die Hälfte seines Wertes verloren – und keiner sprach von einer Krise des Dollars oder gar von dessen Ende.

Das sehen einige Fachleute, speziell in den USA, offenbar anders: Sie fragen gar nicht mehr ob, sondern wann der Euro kollabiert.

De Grauwe: Da ist wohl bei manchem der Wunsch der Vater des Gedanken.

Oder traut man sich in Europa nur nicht, das laut auszusprechen? – Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

De Grauwe: Das sind die Behauptungen irgendwelcher Untergangsphilosophen, die jeder Grundlage entbehren.

Der „Focus“ spricht immerhin von einem „Tabu“ in Sachen „Euro-Crash“ bei uns.

De Grauwe: Bitte, jetzt legen Sie Ihre Argumente mal auf den Tisch. Was meint denn der Focus zum Beispiel mit „Euro-Crash“? Eine Abwertung des Euro oder tatsächlich seine Auflösung? Das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Natürlich gibt es einen „Crash“ – wenn Sie so wollen –, im Sinne einer Abwertung.

Im österreichischen Nachrichtenmagazin „Profil“ nennen Sie den Absturz des Euro sogar „eine gute Nachricht“.

De Grauwe: Natürlich, weil der Euro – wie gesagt – überbewertet ist und die Erfahrung zeigt, daß Länder, die ihre Währung abwerten, sich schneller von der Krise erholen.

Abwertung bedeutet aber: Inflation.

De Grauwe: 2001 stand der Euro auf einem noch niedrigeren Stand als heute und hat auch keine Inflation verursacht.

Die Euro-Abwertung ist gut für den Export – aber was ist mit Sparern, Vermögenshaltern und Rentnern? Muß Ihre Lösung in deren Ohren nicht zynisch klingen?

De Grauwe: Wo bitte ist denn der Verlust etwa für Vermögenshalter? Gut, diejenigen die in den Euro investiert haben, die leiden natürlich unter der Abwertung, aber dafür hatten sie zwischen 2001 und 2008 auch phantastische Gewinne. Wer in Deutschland zum Beispiel in Bonds investiert hat, der verliert nicht mehr als bei den üblichen Aufs und Abs. Vernünftige Anleger haben sowieso gestreut investiert und können so etwaige Verluste auffangen. Gut, wenn Sie alles auf eine Karte gesetzt haben, dann können Sie in Schwierigkeiten kommen. Aber das sind die Regeln des Marktes: Der eine entscheidet sich für Sicherheit, der andere für Risiko. Jeder sollte wissen, was er tut – und muß die Konsequenzen tragen.

In der Euro-Zone herrschen tatsächlich falsche reale Wechselkurse – eine Inflationsdisparität von bis zu dreißig Prozent. Sie sprechen von einer Abwertung gegenüber dem Dollar, müßte der Euro aber nicht vielmehr „nach innen“ abgewertet werden?

De Grauwe: Bekanntlich ist die Inflation in den verschiedenen Euro-Ländern recht unterschiedlich ausgeprägt. Ich gebe zu, das ist ein Problem, und ein Land wie Spanien muß einsehen, daß es seine Inflationsrate senken und wieder Wettbewerbsfähigkeit erlangen muß. Und ich räume auch ein, daß das ohne eigene Währung sicher um so schwieriger ist. Allerdings muß man bedenken, daß solche Unterschiede von vornherein Teil der Architektur der Euro-Zone sind.

Nochmal: Das Haushaltsdefizit der USA wächst exorbitant, und Japans Verschuldung sprengt sämtliche Maastrichtkriterien – doch Dollar und Yen legen in der Krise zu! Der Euro aber ist von knapp 1,60 auf 1,28 Dollar abgestürzt, gegenüber dem Yen von 170 auf 120. Das gibt Ihnen nicht zu denken?

De Grauwe: Ich kann nur wiederholen: Es ist unsinnig, den Erfolg einer Wirtschaft nur am Wert ihrer Währung festzumachen. Märkte sind irrational, sie werden unter anderem von allen möglichen psychologischen Momenten beeinflußt. Und ich kann als Beleg dafür nur wiederholen: Als der Dollar von 2001 bis 2008 die Hälfte seines Wertes verlor, habe ich niemanden sagen hören: „Das ist sein Ende.“

Wenn sich die Krise in der EU aber verschärft, ist es dann nicht doch denkbar, daß der Euro zerfällt?

De Grauwe: Dieses Risiko halte ich für gering – aber natürlich könnte das passieren. Wer will das eine oder das andere mit absoluter Sicherheit voraussagen? Natürlich könnte es sein, daß einige Länder die notwendigen Anpassungen als zu schmerzlich empfinden und beschließen, sich dem nicht mehr länger auszusetzen und die Euro-Zone verlassen. Und natürlich könnten wir in eine Krise geraten, wie wir sie uns heute noch gar nicht vorstellen können. Aber gleichzeitig muß man doch sagen: Es ist eher unwahrscheinlich.

Weil wir keine nationale Währung mehr haben, wird – wegen der gesunkenen Bonität der Krisenländer – über gemeinsame Euro-Anleihen nachgedacht. Warum soll Deutschland für EU-Länder, die über ihre Verhältnisse gelebt haben, mithaften?

De Grauwe: Wir leben heute nun einmal in einer Welt, in der wir alle voneinander abhängig sind. Deutschland exportiert vierzig Prozent seines Bruttosozialprodukts. Wenn es anderen Ländern hilft, pflegt es also seine Märkte. Wenn es aber auf dem Standpunkt steht: „Das ist euer Problem!“, dann werden die Deutschen bald merken, daß sie sich irren. Dann werden sie lernen, daß es auch ihr Problem ist.

Nach Artikel 103 des Vertrages von Maastricht ist die Gemeinschaft weder verpflichtet noch berechtigt, für die Schulden eines anderen Mitglieds einzutreten.

De Grauwe: Das ist richtig, aber es wäre nicht das erste Mal, daß man sich über den Vertrag hinwegsetzt. Erinnern Sie sich: Deutschland hätte, wären diese Regeln streng angewandt worden, gar nicht Mitglied der Euro-Zone werden können, weil es selbst die Maastricht-Kriterien nicht einhalten konnte. Die Politiker haben damals gesagt: „Darüber werden wir hinwegschauen, Deutschland ist dabei!“ Für einen ebenso pragmatischen Ansatz plädiere ich jetzt, denn wenn wir es nicht tun, wird es zum Nachteil aller sein.

Wie glaubwürdig ist der Maastricht-Vertrag dann noch?

De Grauwe: Der war noch nie besonders glaubwürdig – insofern würden wir ihm nun kaum großen Schaden zufügen: Die Stabilitätskriterien von Maastricht sind doch schon lange tot. Aber darüber sollten wir nicht in Trauer verfallen. Denn diese Kriterien waren sowieso nie mehr als eine politische Obsession. Mit der Finanz- und Wirtschaftsrealität hatte das nicht viel zu tun. Ich habe den Zahlen-Fetischismus der Stabilitätskriterien nie verstanden.

Die Stabilitätskriterien waren das politische Fundament, auf dem die Währungsunion erbaut worden ist!

De Grauwe: Es war ein Fehler, jemals anzunehmen, daß diese Regelung Bestand haben würde.

Dann sind wir also speziell von der deutschen Politik betrogen worden?

De Grauwe: Diesen Vorwurf können Sie machen und ich verstehe, daß Sie danach fragen, was sich die Politiker dabei eigentlich gedacht haben. Ich kann diese Frage aber nicht beantworten. Ich kann nur vom finanzfachlichen Standpunkt aus sprechen. Und da sage ich: Jeder, der bei Verstand war, wußte, daß das Unsinn ist. Man hätte auf solche falschen Versprechungen, die nur nachträglich das Mißtrauen der Bürger in die Politik schüren, von Anfang an verzichten sollen.

Sollten wir dann in Zukunft nicht besser auf Volksabstimmungen zurückgreifen: Etwa darüber, ob wir – auf Kosten der gegenwärtigen und künftigen Steuerzahler – anderen Ländern mit milliardenschweren Rettungspaketen beispringen sollen?

De Grauwe: Das ist ein berechtigter und interessanter Vorschlag, aber ich bezweifle, daß das funktioniert. Erstens aus praktischen Gründen: Eine Volksabstimmung braucht Zeit. Nicht nur die Durchführung an sich, schließlich muß ihr in der Demokratie auch eine Periode der Meinungsbildung vorausgehen. Bis die Abstimmung dann abgeschlossen ist, würde der Notleidende schon nicht mehr existieren. Zweitens aus prinzipiellen Gründen: Volksabstimmungen sollten für grundsätzliche Fragen vorbehalten sein. Zum Beispiel, ob Deutschland überhaupt dem Euro beitreten soll. Aber sie sind nicht geeignet für aktuelle exekutive Fragen, die sich dann aus einer solchen grundsätzlichen Entscheidung ergeben. Dafür haben wir in der repräsentativen Demokratie Parlament und Regierung.

Wie soll eine Währungsunion, in der mindestens zwölf Länder Bankrott-Kandidaten sind, in Zukunft überhaupt Bestand haben?

De Grauwe: Bankrott gehen kann jedes Land. Davor ist auch Deutschland nicht geschützt. Auch Großbritannien nicht oder selbst die USA, die keinen Euro haben. Denn diese Fragen sind nicht so eng mit dem Euro verknüpft, wie Sie hier den Anschein erwecken. Der Euro kann scheitern – aber wenn, dann nicht weil er scheitern mußte. Vom finanztechnischen Standpunkt aus gibt es keinen Grund, von einem wahrscheinlichen Ende des Euros auszugehen.

 

Prof. Dr. Paul de Grauwe: Der „renommierte Finanzexperte“ (Financial Times Deutschland) an der Universität im belgischen Löwen war zeitweilig Berater von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sowie Kandidat für einen Sitz im Vorstand der Europäischen Zentralbank (EZB). Er ist außerdem Herausgeber mehrerer Wirtschaftsfachzeitschriften und zahlreicher Bücher, darunter „Economics of the Monetary Union“ (Oxford University Press, 2007). Acht Jahre war De Grauwe außerdem Abgeordneter im belgischen Senat, der zweiten Kammer des Parlaments, und vier Jahre Mitglied im Vorstand der ehemaligen liberalen Regierungspartei VLD. Geboren wurde er 1946 in Ukkel.

Der Euro: Nur 36 Prozent der Deutschen befürworteten laut Forschungsgruppe Wahlen Ende 2007 noch den Euro. Damit lag die Zustimmung sogar drei Prozent unter dem Wert im Jahr seiner Einführung als Bargeld 2002. Zunächst als Buchgeld gibt es den Euro seit 1999. Warnungen renommierter Finanzexperten wurden dabei ebenso ignoriert, wie der Wille der Mehrheit der Deutschen, bei der Mark zu bleiben. Nach der Goldmark von 1871, der Renten-, später Reichsmark, der Deutschen Mark und der Mark der DDR, ist der Euro die fünfte deutsche Gemeinschaftswährung. Bereits 1970 wurde eine europäische Währungsunion für das Jahr 1980 geplant, die aber am Zusammenbruch des Bretton-Woods-Finanzsystems scheiterte. Stattdessen wurden das Europäische Währungssytem (EWS) und die European Currency Unit (ECU) als Vorläufer des Euro etabliert. Zunächst sollte das EU-Geld „europäische Franken“, „Gulden“ oder „Kronen“ heißen, doch „Euro“ setzte sich durch.

 

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