© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/09 06. März 2009

Linke Jugendkultur: In Katalonien gehört Nationalstolz zum Alltag
Die Flagge weht überall
Toni Roidl

Nach linker Logik steht Nationalstolz nur den Völkern der Dritten Welt zu. Während dem ollen Fidel ein strammes „Patria o muerte!“ (Vaterland oder Tod) nicht weiter übelgenommen wird, wird jeder Deutsche für diesen Spruch ruckzuck an den Patrioten-Pranger gestellt. Beispiel: Sängerin Mieze der Berliner Band Mia, die wegen ihres gesungenen Bekenntnisses zu Deutschland von der Antifa den Stempel „nationalistisch!“ verpaßt bekam. Liebe für das eigene Land ist nach linkem Dogma ausschließlich rechts – und damit igitt!

Ein Blick über den deutschen Tellerrand zeigt, daß dies ein typisch deutsches Phänomen ist, und schon bei unseren übernächsten Nachbarn ganz anders: In Katalonien gehört Nationalstolz auch in der linken Subkultur selbstverständlich zum Alltag. Auf die eigene Fahne zu pinkeln oder diese zur Fußball-WM zu verbrennen, würde den Jungs und Mädels von Barcelonas linker Jugendszene nicht im Traum einfallen.

 „Ich fühle mich als Katalanin“, sagt die 23jährige Laura Vidal dem Internet-Jugendportal chilli.cc. „Ich bin stolz auf meine Herkunft“, unterstreicht sie und erzählt, daß die Sprache und kulturelle Identität der katalanischen Nation bewahrt werden müsse.

Wenn das die Linken hören? Nein, Laura ist selbst Anhängerin der linken „Esquerra Republicana“ – wie gut sechzig Prozent der 18- bis 34jährigen Katalanen.

Darum wundert es in Barcelona auch niemanden, wenn nach einem Punkkonzert Band und Publikum gemeinsam die katalanische Nationalhymne „Els Segadors“ anstimmen. Zum Beispiel, wenn Ska-Punk-Bands wie „Opcio K-95“ aus Barcelona oder „Obrint Pas“ aus Valencia im linken Centro de Cultura Contemporània de Barcelona (CCCB) auftreten oder ein Open-Air-Konzert im Stadion Sot del Migdia auf dem Berg Montjuïc stattfindet, bei dem wie üblich Hip-Hop- oder Hardcore-Bands gemeinsam mit katalanischen Folk-Gruppen spielen.

Obrint Pas (katalanisch für „Wir machen den Weg frei“) werden übrigens auch von deutschen Antifa-Foren „wärmstens empfohlen“ wegen ihrer „super Polittexte“. Auch wegen ihrer Vaterlandsliebe? Während die deutsche Antifa aktuell mit der Parole „Gegen nationale Helden!“ gegen den Stauffenberg-Film „Operation Walküre“ stänkert, werden seit langem viele Konzerte patriotischer Rockbands von der anarchistischen Arbeitergewerkschaft Kataloniens CNT veranstaltet.

Und das Bekenntnis zur eigenen kulturellen Identität liegt offensichtlich nicht nur den Männern am Herzen. Die taz schreibt: „Der Nationalismus der katalanischen Frau ist nahezu unbegrenzt.“ Und selbst das linksextreme Internetportal indymedia bezeichnet die Katalanen mit erstaunlicher Unbefangenheit als „Linkspatrioten“.

Auch andernorts scheinen sich Jugendliche die Frage zu stellen: Warum eigentlich nicht? In einer heißen Leserdiskussion (mazingazeta.wordpress.com) um die Frage, ob auch Südtiroler patriotisch sein dürfen, ohne den Verdacht des bösen Rechtsextremismus zu erwecken, schreibt ein Forumsteilnehmer: „Wieso nicht patriotisch sein wie die linken Katalanen?“

Weshalb er überhaupt nicht findet, daß „Nationalismus immer gleich mit Intoleranz, Totalitarismus und Fremdenhaß verbunden“ sein muß, erklärt der Jugendsprecher der katalanischen Esquerra Republicana, Pol Pages gegenüber chilli.cc: „Ich will einfach nur, daß mein Nachbar mich versteht, wenn ich katalanisch rede. Ich will katalanisch leben können!“

Kein Wunder. Selbst auf Internetseiten von radikalen Linksbündnissen, die sonst Hausbesetzungen unterstützen, den Sozialismus fordern und sich als „antifaschistisch“ bezeichnen, weht die rot-gelb-gestreifte katalanische Nationalflagge und wird der „Reichtum unserer katalanischen Volkskultur“ hochgehalten. Links und patriotisch – in Katalonien weder Widerspruch noch Spagat: „Als Faschist“, so wie in Deutschland reflexartig üblich, „wird man hier eher beschimpft, wenn man den katalanischen Nationalismus kritisiert“, berichtet Laura, „weil der nämlich im Namen der spanischen Interessen unterdrückt wird“.

Bei den Neuverhandlungen des Autonomiestatuts 2006 beschloß das katalanische Parlament übrigens mit fast 90 Prozent aller Stimmen die Aufnahme einer Erklärung in der Präambel, die besagt, daß die Selbstdefinition als Nation „dem Gefühl und Willen der Bürger Kataloniens“ entspricht. Warum eigentlich bei uns nicht?

Fotos: Opció K-95: Offene Bekenntnisse zur katalanischen Identität; Obrint Pas in Valencia: Ska, Punk und Folklore Kataloniens

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