© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/09 13. März 2009

Lauter offene Türen eingerannt
Die im „Schwarzbuch Deutschland“ beklagten Defizite werden ausgerechnet von einer Phalanx diskursleitender Kritiker vorgebracht
Hans-Joachim von Leesen

Mit Donnerschlägen beginnt das Buch: Die Bürger der Bundesrepublik sind krassen Fehlinformationen ausgeliefert. Die Berichterstattung besteht aus Halbwahrheiten und Einseitigkeiten und sei nichts als neoliberale Propaganda. Schon die Schröder/Fischer-Regierung habe den Wählerauftrag verraten. Daher halten achtzig Prozent der Bürger unsere Demokratie nicht für sonderlich demokratisch. Provozierend wird gefragt, wer denn abgestimmt habe über die Erhöhung der Mehrwertsteuer, über die Einführung des Euro, über die europäische Verfassung, über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Das alles beweise, daß sich die Parteien gegen ihre Wähler zusammengeschlossen haben. Und die Medien machen mit. Eine große Mehrheit der Journalisten leiste ideologische Arbeit und übe sich in flächendeckendem Gehorsam.

Wer jetzt glaubt, daß sich hier Rechtsradikale bedenklich der Verächtlichmachung der Bundesrepublik nähern, der täuscht sich. Im „Schwarzbuch Deutschland – Handbuch der vermißten Informationen“ haben sich zahlreiche namhafte Linke zusammengefunden, die sich darüber beklagen, daß ihre Vorstellungen in Deutschland unzureichend verbreitet werden. So haben sie im „Schwarzbuch Detuschland“ vorwiegend linke Positionen zusammengetragen, die, wie die Herausgeber meinen, meist unterschlagen werden, weil sie „den Neoliberalismus“ stören. Die Autoren bemühen sich, Gegenentwürfe vorzustellen, und fordern, daß man endlich Demokratie ernst nehmen müsse.

Unter 39 Stichworten werden linke Auffassungen zu Themenbereichen von „Alte Menschen“ über „Kulturpolitik“ bis „Wirtschaft‘ ausgebreitet, die nach Ansicht der Autoren in der Bundesrepublik keine Verbreitung finden. Der Verfasser des Kapitels „Ausländer- und Asylpolitik“ etwa klagt, daß nur fünf Prozent der Einwanderer als Flüchtlinge anerkannt würden, obgleich sie durch Überweisungen der in Deutschland verdienten Löhne in ihre Heimatländer einen wichtigen Beitrag für die Entwicklung eben dieser Länder leisteten. Schändlich sei es, daß man zunehmend abwägt, ob die Einwanderer unter Zugrundelegung einer Kosten-Nutzen-Analyse Deutschland nützen oder schaden. Zu kritisieren sei auch, daß viele Einwanderer keinen Schulabschluß erreichen, woran Deutschland die Schuld trägt. Daß der Staat das Recht auf Abschiebung hat und daß viele ungelernte Immigranten nur geringe Löhne bekommen, wird mit harschen Worten angeprangert, unausgesprochen fordert der Autor die unbeschränkte und unkontrollierte Einwanderung nach Deutschland.

Verurteilt wird – um ein anderes Beispiel zu nennen – die Föderalismusreform, weil sie die Länder stärkt und damit einen starken Staat verhindert. Dadurch besteht die Gefahr, daß das Bildungswesen noch mehr zersplittert. Die Hoffnung auf einen stärkeren Zentralstaat steht im Widerspruch zur Forderung, den Ländern wieder die Ziele zuzuordnen, um derentwillen seinerzeit die Besatzungsmächte den Föderalismus geschaffen haben, nämlich den Zentralstaat nicht zu mächtig werden zu lassen.

Unter dem Stichwort „Geschlechtergleichheit“ wird kritisiert, daß die Bundesregierung eine Familienpolitik treibt, die die Gleichstellungspolitik behindert. Betreuung von Kindern ist in den Augen der Autorin keineswegs die Lösung, weil dadurch erhebliche Gleichstellungsdefizite bleiben, Ziel müsse die Geschlechtergleichheit sein, denn Gender-Politik sei auch Kritik an den Herrschaftsverhältnissen, an den Abhängigkeiten der Frauen und an struktureller Gewalt.

Unter „Kinder und Familie“ liest man, daß Verhältnisse geschaffen werden müssen, um Kinder und Beruf vereinbaren zu können. Dabei müßten die Lasten der Kindererziehung „gerecht verteilt“ werden, was in der BRD gescheitert sei, da die Kinder bei den Familien verbleiben. Angestrebt wird ganz offenkundig, die Erziehung dem Staat zu übergeben.

Unter dem Stichwort „Medien“ wird berechtigte Kritik an den immer platter werdenden Programmen des privaten Fernsehens und an der Ausklammerung von Kultur geübt. Daß der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich immer mehr dem privaten annähert, wird dabei nicht gebührend erwähnt. Angeprangert wird die Konzentration von Zeitungsverlagen, wobei bezeichnenderweise die Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft (DDVG) nicht erwähnt wird, in der die Anteile zusammengefaßt sind, mit denen die SPD an etwa zwanzig Zeitungen und Großdruckereien beteiligt ist. Als lobenswerte Alternativen zur Gleichschaltung werden lediglich Konkret, Lettre und Freitag, also ausnahmslos Linksblätter, genannt.

Sieht man sich die Namen der Autoren an, dann begegnet man Dutzenden von wohlbestallten Professoren, Öffentlichkeitsarbeitern der Gewerkschaften, Mitarbeitern von Rundfunk- und Fernsehanstalten, von Zeitungen wie der Zeit, des wissenschaftlichen Dienstes und von Ausschüssen des Bundestages, von Beiräten der Bundesregierung und vielerlei anderen gewichtigen Institutionen. Manchem begegnet man immer wieder in Talkshow-Runden, wo er seine Thesen verbreitet.

Da mutet es grotesk an, wenn ebendiese Leute glauben, sich beklagen zu müssen, daß ihre Ansichten nur unzureichend in der Öffentlichkeit verbreitet würden. Man gewinnt eher den Eindruck, daß es sie stört, wenn auch andere Ansichten Platz in der Berichterstattung finden. Immerhin ist das Buch ein aufschlußreiches Nachschlagewerk für jemanden, der wissen will, wie die Linke tickt.

Gabriele Gillen, Walter van Rossum: Schwarzbuch Deutschland. Das Handbuch der vermißten Informationen. Rowohlt Verlag, Reinbek 2009, gebunden, 650 Seiten, 24,90 Euro

Foto: Themen, die so verschwiegen gar nicht sind: Die  Mehrheit der Journalisten leistet ideologische Arbeit

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