© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/09 20. März 2009

Mein ist die Macht
Angela Merkel: Wie die Kanzlerin und CDU-Chefin Opportunismus als Stärke kultiviert
Doris Neujahr

Die Karriere von Bundeskanzlerin Angela Merkel stellt Anhänger und Gegner, Analytiker und Biographen vor ein Rätsel. Wie konnte diese unscheinbare Frau ohne Charisma und Sex-Appeal, die weder eine gute Rednerin noch eine mitreißende Visionärin ist, an die Spitze von Partei und Regierung gelangen? Wie schafft sie es, sich dort zu behaupten?

Um ihrer Kritik die gewisse Würze zu geben, verweisen konservative Merkel-Feinde auf ihre Ämter in der FDJ und unterstellen ihr indirekt Opportunismus, politische Linkslastigkeit bzw. Beliebigkeit sowie ein instrumentelles Verhältnis zur Macht, das nach sachlichen und ethischen Begründungen nicht fragt – Eigenschaften eben, ohne die man es auf der offiziellen Karriereleiter der DDR in der Tat nicht weit brachte. Vieles davon trifft auf sie zu – was nur zeigt, daß diese Negativ-Eigenschaften im bundesdeutschen Politikbetrieb ebenfalls unabkömmlich sind und zwischen DDR und BRD heute viel mehr Gemeinsamkeiten bestehen, als man das je für möglich hielt. Von der Kritik an Merkel bleibt dann nur noch der Neid auf ihren Erfahrungsvorsprung, den sie der harten DDR-Schule verdankt.

Die inhaltliche Beliebigkeit und das instrumentelle Machtverständnis zeigten sich exemplarisch an ihrer Behandlung des Klimaschutzes. Weil sie als Kanzlerin einer Großen Koalition nur über geringe Richtlinien- und Gestaltungskompetenz verfügte, reklamierte sie das populäre Thema für sich, um als „Klimakanzlerin“ an Profil, Ansehen und Macht zu gewinnen. Seitdem die Wirtschafts- und Finanzkrise heraufgezogen ist, rückt sie die Autoindustrie wieder in den Vordergrund. Vom Klimaschutz, der eben noch über Leben und Tod der Menschheit entschied, ist nun keine Rede mehr.

Ihre historische Leistung als Parteivorsitzende liegt darin, alle konservativen Restspuren aus dem Selbstverständnis der CDU getilgt zu haben. Aus ihrer vom Machterhalt bestimmten Perspektive ist das folgerichtig. In einer Massendemokratie, wo der Drang nach Selbstentfaltung die Fähigkeit zur Selbstdisziplinierung immer stärker überwiegt, bezeichnet das Konservative eine Minderheitenposition, die dem Zug der Zeit entgegensteht. Merkel dagegen will ins Führerhäuschen. Zwar gibt es relevante Wählergruppen, welche die Ausländerpolitik, den Gender-Unfug, die Antidiskriminierungsgesetze ablehnen und denen es nicht in den Kopf will, daß es einfacher sein soll, ungeborenes Leben abzutreiben, als in der Eckkneipe eine Zigarette zu rauchen.

Auf der linken Seite des politischen Spektrums hat solche Ausdifferenzierung der Interessen und Ansichten dazu geführt, daß sich neben der SPD die Grünen und die Linkspartei plaziert haben. Ein vergleichbarer Prozeß rechts von der Mitte läge in der politischen Logik. Der Wähleranteil der Union würde sich danach auf solide 25 oder 28 Prozent einpendeln, und Merkel und die CDU wären nicht mehr das Problem der Rechten und Konservativen. Doch blocken die Presse, der Inlandsgeheimdienst und andere Institutionen diese politische Normalität erfolgreich ab, so daß Merkel sich bislang der zähneknirschenden Unterstützung ihrer konservativen Gegner sicher sein konnte, die eine linke Mehrheit verhindern wollen. Helmut Kohl hatte deren Zwangslage gleichfalls für sich genutzt, verfuhr aber weniger kaltschnäuzig. Regelmäßig vor Wahlen verabreichte er ihnen die obligaten Streicheleinheiten, so daß sie ihn in einer Mischung aus Täuschung und Selbsttäuschung als ihren Interessenvertreter feierten.

Es erstaunt, daß ihre emotionale Unterentwicklung Merkel bisher nie geschadet hat. Ihre geschlagenen Konkurrenten: Kohl, Schäuble, Stoiber, Koch, Merz, Oettinger, Wulff waren und sind in puncto Machtgewinn schließlich keine Anfänger. Nach dem Weltwirtschaftsgipfel von Heiligendamm im Sommer 2007 bemühte sich eine Reportage des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, das Geheimnis der Machtmaschine Merkel zu ergründen. Sehr weit kamen die Journalisten, Experten und Politiker dabei nicht. Eine Spitzenpolitikerin der Grünen bemerkte immerhin maliziös, Merkel würde ihren männlichen Kollegen jedenfalls nicht „als Frau“ gefährlich werden. Falls man das als Hinweis auf eine fundamentale Anspruchslosigkeit Angela Merkels jenseits der Politik beim Wort nehmen darf, wäre das Rätsel um ihre rasante Karriere zur Hälfte gelöst.

Selbst Helmut Kohl, der Machtpolitiker par excellence, fiel durch private Neigungen, Schwächen, Vorlieben auf: zum Saumagen, zum Pfälzer Wein, zur Familie und was darüber hinaus gerüchteweise nach außen drang. Auch die anderen Politiker, so reduziert sie sind, haben ihre privaten Gefälligkeiten und unkontrollierten menschlichen Affekte, die sie vom politischen Kerngeschäft immer mal wieder wegführen, um ihnen dort anschließend auf die Füße fallen.

Angela Merkel hingegen wirkt aseptisch, so als wäre die Ausübung von Macht für sie die einzige Quelle persönlichen Glücks und Genusses, als wäre ihr Machtwille nicht bloß ein Attribut, sondern die Grundlegung und das alles bestimmende Element ihrer Identität. Man kann sie sich anders gar nicht vorstellen als immer auf dem Sprung, atmosphärische Änderungen witternd, Informationen einsaugend, die sich stetig verschiebenden Kräfteverhältnisse sondierend, um für jede denkbare Lage gewappnet zu sein. Bismarck (der aber ein Vollblutmensch war) verfügte über eine vergleichbare Kombinationsgabe, die er zur Stabilisierung des europäischen Gleichgewichts nutzte. Merkel dient sie vor allem zur Abservierung von Konkurrenten.

Droht ihr jetzt trotzdem der Kontrollverlust? Die treuesten, am meisten mißbrauchten und gedemütigten Wähler der Union wollen diesmal tatsächlich zu Hause zu bleiben, nach dem Motto: lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende mit Merkel. Die Vorstellung, es könnte vier Jahre lang mit dieser Kanzlerin weitergehen, ist in der Tat monströs.

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