© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/09 03. April 2009

„Cyber-Attacken und Terror“
Gebhardt von Moltke, ehemaliger Co-Nato-Generalsekretär für politische Fragen, zum Gipfel von Straßburg
Moritz Schwarz

Herr von Moltke, in Straßburg und Kehl will die Nato über eine Reform ihrer bisherigen Strategie diskutieren. Werden sich dabei die USA mit ihren Vorstellungen durchsetzen?

Moltke: Nichts passiert in der Nato ohne Konsens. Allerdings haben die USA in der Nato eine sehr starke Stellung. Sie werden sich nur durchsetzen, wenn sie die anderen 25 für ihre Vorstellungen gewinnen können. Die neue Strategie kann nur im Konsens, das heißt in der Regel über einen Kompromiß, gefunden werden.

Ein Expertengremium, über dessen deutschen Vertreter seit Wochen in Berlin gestritten wird, soll die Reform ausarbeiten. Wissen Sie schon Näheres über die Vorstellungen, die Washington dort einbringen will?

Moltke: Nein, ein Kernpunkt in der Debatte am Wochenende wird natürlich Afghanistan sein, für das die USA ein neues Konzept entwickelt haben und ja schon lange auch eine stärkere europäische und deutsche Beteiligung fordern.

Die Amerikaner werden wohl weiter auf einen offensiven Umbau der Nato hin zu einer internationalen Eingreiftruppe drängen.

Moltke: Nein, ich glaube nicht, daß die USA die Nato überall auf der Welt, wo Konflikte entstehen, einschalten wollen.

Wenn die Nato nicht offensiv ausgerichtet werden soll, warum hat man dann Strukturen wie die Nato Reaction Force (NRF) entwickelt, die globale Eingreiftruppe der Nato?

Moltke: Der Name „Reaction“ besagt ja schon, daß die NRF nicht offensiv ist, sondern reagiert. „Offensiv“ dagegen bedeutet, seine Interessen mit militärischen Mitteln durchzusetzten. Bei Gründung der Nato Reaction Force ging es um etwas anderes: Viele Nato-Armeen hatten eine zu lange Mobilisierungszeit, um in Krisenzeiten schlagkräftige Einheiten kurzfristig bereitzustellen. Um diese Fähigkeit zu verbessern, wurde die NRF gegründet.

Die USA haben immer wieder versucht, die Nato in ihre Konflikte zu verwickeln, 2001 in Afghanistan, 2003 im Irak. Ist nicht zu befürchten, daß sie nun versuchen werden, dies in Straßburg und Kehl zu institutionalisieren?

Moltke: Ihre Prämisse stimmt nicht. Die USA haben uns nicht zum Einsatz in Afghanistan gedrängt. Daß den Taliban Einhalt geboten werden muß, darüber besteht nach dem 11. September 2001 zu Recht Einigkeit in der Nato. Beim Irak dagegen ging es um die Frage, wie die Nato reagieren soll für den Fall, daß Bagdad den Nato-Partner Türkei mit Raketen beschießen sollte.

Sehen Sie darin nicht die Logik, die Nato in den Konflikt zu verwickeln? Immerhin ein Konflikt, der völkerrechtswidrig war und in dem nie die von den USA behauptete Gefahr im Verzug existiert hat.

Moltke: Ich selbst habe vielen Sitzungen der Nato beigewohnt, wo US-Vertreter mit Luftaufnahmen durchaus plausibel gemacht haben, daß die chemischen Einrichtungen im Irak im Fortschritt begriffen waren. Die Botschaft an Saddam Hussein sollte sein: Auch die Nato steht hinter uns! An eine Beteiligung im Irak war nicht gedacht.

Ex-US-Außenminister Colin Powell hat sich inzwischen bekanntlich für seinen berühmt-berüchtigten Luftbildvortrag vom 5. Februar 2003 entschuldigt und diesen als „Schandfleck“ in seiner Karriere bezeichnet.

Moltke: An Powells späterem Eingeständnis war abzulesen, daß er selbst tief enttäuscht und er 2003 nicht bösgläubig war. Der Irak-Krieg geht einerseits auf die Neocons zurück, die es als Fehler betrachtet hatten, nicht schon im ersten US-Golfkrieg 1991 bis nach Bagdad marschiert zu sein. Andererseits hat der Irak in der Zeit von 1991 bis 2003 aber auch wirklich alles getan, um das Mißtrauen gegen sich zu nähren.

Einerseits sträubt sich Deutschland – wie in Afghanistan – gegen ein immer stärkeres internationales Nato-Engagement. Andererseits unterstützt man die USA logistisch und baut die Bundeswehr Zug um Zug zur Interventionstruppe um. Geht die Kanzlerin überhaupt mit einem klaren Bild von der Zukunft der Nato in die Verhandlungen?

Moltke: Ja, in Berlin hat man durchaus eine Vorstellung von dem, was man von der Nato erwartet: und zwar in erster Linie, unsere eigene Sicherheit zu garantieren, so wie das in den Jahrzehnten des Kalten Kriegs auch tadellos geklappt hat. Doch seit der Verabschiedung der letzten Nato-Strategie auf dem Gipfel in Washington 1999 haben wir erfahren müssen, daß die Bedrohung unserer Sicherheit nicht mehr notwendigerweise nur territorial ist. Stichwort: Cyber-Attacken und vor allem der Terrorismus. Diesen Herausforderungen müssen wir uns künftig ebenso stellen.

In den neunziger Jahren begann erneut die Diskussion um den Ausbau des „europäischen Pfeilers“ der Nato. Unternimmt Deutschland noch Versuche in diese Richtung?

Moltke: Nicht nur Deutschland, Präsident Sarkozy hat dies kürzlich gefordert. Unter anderem in diesem Zusammenhang ist auch seine Absicht zu verstehen, in die militärischen Strukturen der Nato zurückzukehren. Daß die Kooperation zwischen Nato und EU nicht so vorangekommen ist, wie wir uns das gewünscht haben, liegt vor allem daran, daß wir ein Problem an der Südflanke haben: Die Türkei – nicht Mitglied der EU – und das Zypern-Problem verhindern Fortschritte. Die USA dagegen haben ihren Widerstand weitgehend aufgegeben. Mit dem Ende der Ära der Neocons hat man in Washington erkannt, daß ein ausgebauter europäischer Pfeiler eher einen Vorteil für die USA darstellt, weil so die Europäer handlungsfähiger werden.

Sie waren als sogenannter „Beigeordneter Generalsekretär für politische Angelegenheiten der Nato“ verantwortlich für die Verhandlung des Grundlagenvertrags mit Rußland 1997. Ist ein Beitritt Rußlands im Interesse der Europäer?

Moltke: Ausschließen sollte man ihn nicht, aber de facto wäre eine Ausweitung des Nato-Beistandsgebiets bis an die chinesische Grenze sehr problematisch. Ebenso lassen sich russische Größe und Mentalität derzeit nicht ohne weiteres in die Nato integrieren. Die Nato basiert auf gemeinsamen Werten.

Könnte Rußland als Gegengewicht zu den USA in der Nato den Europäern nicht neuen Spielraum verschaffen?

Moltke: Wozu? Ich teile Ihre Befürchtung nicht, daß wir durch die USA gegen unseren Willen in etwas hineingezogen werden. Wir brauchen die Partnerschaft mit Amerika. Europa muß aber auch in der Lage sein, selbständig militärisch zu handeln, was die EU in Afrika und auf dem Balkan schon getan hat.

 

Gebhardt von Moltke war von 1991 bis 1997 als „Beigeordneter Generalsekretär für politische Angelegenheiten der Nato“ in der Führung des Bündnisses tätig, danach Botschafter in London und von 1999 bis 2003 ständiger Vertreter Deutschlands bei der Nato. Geboren wurde der Diplomat und Jurist 1938 in Wernersdorf bei Breslau. Er ist ein Vetter des Kreisauer Widerstandskämpfers Helmuth James Graf von Moltke und Urgroßneffe des legendären preußischen Generalfeldmarschalls Helmuth von Moltke. 

Foto: Nato-Flugzeug, Techniker: „Es genügt nicht mehr, sich als eine Organisation militärischer Kooperation zu verstehen. Es entsteht ein neues atlantisches Geflecht“

 

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