© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/09 03. April 2009

Angriff auf die Spermienproduktion
Gesundheit: Vielfältige Einflüsse setzen der Zeugungsfähigkeit zu / PET-Flaschen laut Bundesinstitut aber unbedenklich
Volker Kempf

Die demographische Krise in Deutschland hat vielfältige Ursachen. Die entsprechenden Studien von Bevölkerungswissenschaftlern, Historikern, Ökonomen und Soziologen füllen ganze Regale. Ganz praktische biologische Gründe spielen in der Diskussion meist eine Nebenrolle. Dabei sinkt die Zeugungsfähigkeit der deutschen Männer seit Jahrzehnten. Eine Ursache ist die abnehmende Zahl intakter Spermien. Woran liegt das?

Verschiedene Portale beschäftigen sich mit diesem Thema und geben vielschichtige Antworten. Da wird einmal das Jod im Speisesalz mitverantwortlich gemacht, weil durch dessen Konsum die Spermienzahl zurückgegangen sei. Besonders häufig genannte Ursachen sind Rauchen, Alkohol- und Drogenkonsum, ebenso zu enge Hosen und Fettleibigkeit. Auch mit dem Sport sollte es niemand übertreiben, weil das die Spermien gewissermaßen müde machen könnte. Als weitere Ursache wird in jüngster Zeit auf hormonell wirkende Stoffe im Wasser verwiesen.

Dabei geriet zunächst das Leitungswasser ins Fadenkreuz des Interesse. Ein Wirkzusammenhang wurde aus Beobachtungen in der Tierwelt von Flüssen abgeleitet. Im März nun schlugen Wissenschaftler von der Universität Frankfurt Alarm, sie hätten in zwölf von zwanzig handelsüblichen Mineralwässern sogenannte Xenoöstrogene gefunden, die wie das körpereigene Geschlechtshormon Östrogen wirken. Bis zu 75,2 Nanogramm wurden pro Liter Mineralwasser Östradioläquivalente gemessen. Im statistischen Durchschnitt aller Proben waren es 18 Nanogramm und damit deutlich mehr, als im Leitungswasser nachgewiesen werden konnte. Der Wert besagt, daß die betreffenden Substanzen dieselbe Aktivität besitzen wie die gleiche Menge des Sexualhormons Östradiol. Männer haben zwischen 15 und 40 Nanogramm körpereigene Östrogene pro Liter Blut, während es bei Frauen je nach Menstruationszyklus 12,5 bis 498 Nanogramm sind.

Allerdings gibt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) nach einer Sichtung der Studie aus Frankfurt bekannt, es sei unbekannt, ob und in welchen Mengen die Xenoöstrogene vom Darm aufgenommen werden und ins Blut gelangen. Auch bleibe unklar, welche Substanzen genau für die Ergebnisse verantwortlich seien. Der Wirkungsnachweis erfolge mit genetisch veränderten Hefezellen (YES-Test). Die Hefezellen enthalten Teile der menschlichen Hormonsignal-Kaskade und reagieren sehr empfindlich auf das Hormon 17β-Estradio und ähnlich wirksame Substanzen.

Die Autoren interpretieren ihre Ergebnisse dahingehend, daß Substanzen in einer effektiven östrogenen Wirkkonzentration vorliegen müssen. Dabei sei jedoch laut BfR zu berücksichtigen, daß bekannte Xenoöstrogene auch in dem hier genutzten Testsystem deutlich schwächer wirken. Zum Beispiel wirke das Nonylphenol etwa um den Faktor 10.000 schwächer als das natürliche Hormon 17β-Estradiol. Das bedeutet, daß entsprechend hohe Konzentrationen von Substanzen vorliegen müßten, was nicht plausibel sei.

Auch der Verdacht, daß die betreffenden Stoffe aus PET-Flaschen entweichen, könne nicht bestätigt werden. Bisher seien Verschlüsse mit entsprechend problematischen Substanzen bekannt, könnten im vorliegenden Fall aber kaum ein Faktor sein, da in den vergangenen Jahren dem BfR keine Nonylphenol-Funde aus der Untersuchung von Deckeln mehr berichtet wurden. Damit richtet sich das Augenmerk der Forscher auf die betreffenden Quellen der getesteten Mineralwässer selbst.

Wenn in den letzten zwei Wochen in den Medien vor Wasser speziell aus PET-Flaschen gewarnt wurde, ist das den Ausführungen des BfR folgend faktisch ein Fehlalarm gewesen. Bezüglich der Konzentration der betreffenden Stoffe sei kein Zusammenhang auszumachen, ob Mineralwasser in Glas- oder in PET-Flaschen abgefüllt werde. Ein Funke Wahrheit aber bleibt. Denn grundsätzlich hält auch das BfR östrogenartige Wirkungen durch Mineralwässer für problematisch. Die analytische Bestimmung der vorhandenen Konzentrationen sei nun von vorrangiger Bedeutung.

Durch die Arbeit der Forscher aus Frankfurt ist die Liste der möglichen negativen Umwelteinflüsse auf die Spermienzahl bei Männern um einen Faktor „reicher“ geworden. Es sind damit aber auch weiterhin viele, sich vielleicht gegenseitig verstärkende Faktoren zu sehen, auch wenn die Medien darüber im vorliegenden Zusammenhang momentan weniger oft berichten. Der Drogenkonsum etwa ist ähnlich wie die Fettleibigkeit deutschlandweit über die Jahrzehnte gestiegen. Und die Männer sind selbst Herr darüber, das zu ändern, auch ihrer sonstigen Gesundheit zuliebe.

Die Auswertung des Bundesinstituts für Risikobewertung im Internet: www.bfr.bund.de/cm/208/hormonell_wirkende_substanzen_in_mineralwasser_aus_pet_flaschen.pdf

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