© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/09 03. April 2009

In der Tradition des Sozialismus
Faschismus: Die glanzlose Gründung der italienischen Kampfbünde unter Benito Mussolini
Thomas Bachmann

Unter roten Fahnen und Absingen des dazu passenden Kampfliedes der „Bandiera rossa“ gaben am 18. Februar 1919 Zehntausende von Demonstranten in der Mailänder Innenstadt einen imposanten Eindruck davon, über welches Gewicht die Sympathisanten Lenins und der bolschewistischen Revolution in der diffusen Landschaft des italienischen Nachkriegssozialismus bereits verfügten. In den verbarrikadierten Redaktionsräumen des zu dieser Zeit immer noch als „sozialistische Tageszeitung“ firmierenden Popolo d’Italia schmiedete man am gleichen Ort derweil Pläne, den zunehmenden innenpolitischen Wirren des doch eigentlich siegreich aus dem Weltkrieg hervorgegangenen Landes etwas entgegenzusetzen. Die Resonanz auf die flammenden Appelle zur Sammlung, die Chefredakteur Benito Mussolini an die „Frontkämpfer“ richtete, war jedoch eher bescheiden. Ganze 145 Besucher fanden sich am 23. März 1919 in einem angemieteten Saal einer Mailänder Handelsschule ein, um der Gründung der „Fasci Italiani di Combattimento“ beizuwohnen.

Nicht nur der spärliche Zuspruch sollte Mussolini als Indiz für seine damalige Randständigkeit enttäuschen. Auch die ihm nachgesagte Intention, es mit einem kurzen militärischen Zeremoniell bewenden zu lassen, ging nicht auf. Den Teilnehmern stand gar nicht so sehr der Sinn danach, sich bedingungslos in einen Kampfbund einzuordnen, der unter Verzicht auf inhaltliche Grundsatzdiskussionen einfach nur entschlossen handeln sollte. Sie verlangten nach einem Programm – und Mussolini bot ihnen eines, das mit dem, was später als weltanschaulicher Kernbestand des Faschismus gelten sollte, kaum in Übereinstimmung zu bringen ist, gleichwohl aber einen Eindruck von der schillernden und hinsichtlich zukünftiger Entwicklungen durchaus noch nicht festgelegten Frühphase der Bewegung gibt.

Die Faschisten haben mit der Glanzlosigkeit dieses „Gründungsakts“ in ähnlicher Weise kokettiert wie die Nationalsozialisten mit den ungelenken und bizarren Anfängen ihrer Partei. Die größere ironische Distanz, die sie dabei im Vergleich zu ihrem deutschen Gegenstück an den Tag legten, ist unverkennbar, jedoch weniger als Ausdruck mediterraner Gelassenheit oder eines geringeren Maßes an Sendungsbewußtsein zu verstehen. Anders als die Hitler-Bewegung haben der italienische Faschismus insgesamt und sein Duce Benito Mussolini in ganz besonderem Maße auf ihrem Weg Haken geschlagen, die keine noch so mythologisierende Geschichtsschreibung als geradlinig darzustellen vermochte. Zwischen der Diktatur des Faschismus, die an der Seite des nationalsozialistischen Deutschland in den Krieg zog und durch den Staatsstreich am 24. Juli 1943 beendet wurde, und den jungen Kampfbünden des Frühjahrs 1919 liegen mehrere einschneidende Momente, in denen um zentrale Richtungsentscheidungen gerungen wurde und schließlich Festlegungen erfolgten, die den Bruch mit vorherigen Gewißheiten bedeuteten – ein Umstand, der es der faschistischen Nachhut in den letzten Kriegsmonaten erlaubte, die Republik von Salò als Rückkehr zu den unbefleckten Ursprüngen zu interpretieren.

Zwei dieser Umbrüche in der Zeit nach 1919 sind besonders markant. Auf dem Nationalkongreß von Rom im November 1921 läßt sich Mussolini als Preis für die Führungsrolle in der ihm mehr und mehr entglittenen Bewegung in die Disziplin nehmen und vollzieht die abschließende „Wendung nach rechts“. Das Zusammengehen mit dem bürgerlichen Nationalismus begräbt den unausgegorenen Ansatz, daß die Mission des Faschismus vielleicht darin liegen könnte, als eigentliche, durch den Krieg geläuterte Sozialdemokratie die Massen in den Staat zu integrieren. Die Weichenstellung zum Totalitarismus wiederum – ein Begriff, den der Faschismus zu seiner Selbstbeschreibung nicht scheute – wird erst lange nach dem Marsch auf Rom, der operettenhaften Machtergreifung, vollzogen.

Es ist nämlich die durch die Ermordung des sozialistischen Abgeordneten und KP-Generalsekretärs Giacomo Matteotti Anfang Juni 1924 ausgebrochene Krise, die hier zum Katalysator wird. Die Passivität, die Mussolini seiner Bewegung zunächst verordnet, droht ihre Führungsrolle in dem immer noch pluralistisch ausgelegten Staatsgefüge zu unterminieren. Wiederum auf Druck aus den eigenen Reihen sowie der traditionellen Machteliten tritt er die Flucht nach vorne an und setzt auf eine rigide Unterdrückung der Opposition in Politik und Presse, nachdem er zuvor offenbar sogar den Rücktritt und die Übertragung der Macht an den Führer der Sozialisten erwogen hat.

Der für Mussolini charakteristische Zug, tatsächlich bloß Kompromisse einzugehen, wo er im nachhinhein als maßgeblicher Gestalter firmieren wird, und bis zuletzt ganz andere Experimente nicht auszuschließen, läßt sich sogar bei der Gründung der zunächst als Anti-Partei verstandenen faschistischen Bewegung beobachten. Es gibt Hinweise darauf, daß er im Frühjahr 1919 parallel zu seinen Mobilisierungsversuchen die Möglichkeiten einer Rückkehr in den Schoß der sozialistischen Partei sondiert hat. Diese wollte jedoch von ihm nichts mehr wissen. Der Bruch, den er 1915 durch sein überraschendes und entgegen der Parteilinie formuliertes Plädoyer für einen Kriegseintritt Italiens an der Seite der Entente herbeigeführt hatte, war nicht mehr zu heilen. Nicht zuletzt standen auch Gerüchte im Raum, der Popolo d’Italia habe Zuwendungen aus dem westlichen Ausland sowie von bürgerlichen Kreisen, die an einer Beteiligung Italiens am Krieg interessiert gewesen seien, erhalten, um die Ablehnungsfront der Sozialisten aufzubrechen.

Das am 6. Juni 1919 veröffentlichte Programm der Fasci Italiani di Combattimento läßt jedenfalls keinen Zweifel darüber aufkommen, daß es dieser und kein anderer politischer Zusammenhang war, in dem sich Mussolini in dieser Zeit sah. Neben dem Verlangen nach einer demokratischen Umgestaltung des Staates und sozialen Forderungen – wie dem Acht-Stunden-Tag, einem Mindestlohn sowie einer Senkung des Rentenalters auf 55 Jahre – zierte sich das Manifest nicht, Eingriffe in die Eigentumsordnung wie partielle Enteignungen und die Einziehung des Vermögens religiöser Gemeinschaften zu verlangen.

So lautstark sich die Faschisten hier auch in die sozialistische Tradition stellten, blieb die Abwendung Mussolinis von einer einst für ihn zentralen Position unumkehrbar: Der Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit sollte nicht zugespitzt, sondern im Interesse der Wohlfahrt aller überwunden werden. Der Klassenkampf war nunmehr die Domäne der allmählich Konturen annehmenden Kommunisten, die dem Vorbild Lenins nacheiferten. In ihm sah Mussolini jenen Gegenspieler, mit dem ihn soviel verband, daß auf die Unterschiede um so mehr Wert gelegt werden mußte.

Fotos: Roberto Marcello Baldessari „Trikolore-Spirale über Rom“ (Öl auf Leinwand, 1923): Mussolini erkannte soviel Verbindendes zu seinem Gegenspieler Lenin, daß auf die Unterschiede um so mehr Wert gelegt werden mußte; Mussolini spricht zu Miliz der Faschisten: Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit im Interesse der Wohlfahrt aller überwinden

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