© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/09 10. April 2009

„Das Ende des Christentums“
War die Kreuzigung ein Zufall? Die Debatte um Jesu Sühnetod ist voll entbrannt – und richtet den Glauben zugrunde
Moritz Schwarz

Herr Professor Berger, war der Kreuzestod Christi nur ein Zufall, so als wäre Jesus beim Einritt in Jerusalem tödlich vom Esel gestürzt?

Berger: Gewiß nicht. Aber diese Zuspitzung zeigt vielleicht, wie absurd die These mit dem Zufall ist.

Ausgerechnet zu Ostern ist eine hitzige Debatte über die Bedeutung des Sühnetods Jesu am Kreuz ausgebrochen (siehe auch Beitrag Seite 11). „Immer mehr protestantische Theologen äußern daran öffentlich Zweifel“, berichtet „Die Welt“. Ein Thema nur für Christen?

Berger: Keineswegs, denn dieser Streit, der sich unlängst an einem Radiobeitrag im WDR entzündet hat, könnte nicht weniger markieren als das Ende des Christentums – wenn sich diese These durchsetzt.

Warum?

Berger: Wenn das Kreuz keine Bedeutung hat, ist auch mit der Auferstehung nicht zu rechnen, Ostern verlöre die Kontrastfolie. Damit wäre das Christentum entkernt.

Das Ende des Christentums – ist das vorstellbar?

Berger: Ohne das Sühneopfer Jesu könnten wir uns nur noch möglichst rasch mit Juden und Moslems zu einer allgemeinen abrahamitischen Religion vereinigen. Ich vermute, das ist auch einer der Hintergründe der Kampagne. Manche auf „Dialog“ fixierte Christen empfinden das Kreuz zunehmend auch deshalb als Störfaktor, weil der Islam Kreuz und Auferstehung ablehnt. Denn nach dem Koran ist Jesus nicht gekreuzigt worden.

Das Christentum soll also sturmreif gemacht werden?

Berger: Da kommt Verschiedenes zusammen. Zum einen gehen der liberale Protestantismus und der liberale Katholizismus schon lange nicht mehr von einem Christentum aus, das eine Leibhaftigkeit des Leidens und der Auferstehung kennt. Beides findet man dort peinlich und mittelalterlich. Statt dessen will man sich an den Zeitgeist anschließen, also den Glauben in einen Zustand bringen, in dem er nichts „Ärgerliches“ mehr hat. Und natürlich, wer meint, der Sinn der Existenz wäre der Individualismus, und von Stellvertretung nichts mehr begreift – daß einer für den anderen (vor Gott) eintritt –, der wird Jesu Passion stets als störend empfinden. Zum anderen gibt es in Deutschland schon lange eine enge Beziehung zwischen Rationalismus und einer vorbehaltlosen Islam-Freundlichkeit. Die Aufklärung hat diese Wechselwirkung befördert.

Sie haben 2004 mit „Jesus“ einen biographischen Bestseller über Christus geschrieben. Was würde ohne Sühnetod und Auferstehung von der Person Jesu übrigbleiben?

Berger: Es war doch umgekehrt. Der Sühnetod war kein „Zusatz“, sondern Jesus faßte sein ganzes Leben als Opfer auf. Der Tod ist nur die letzte Konsequenz. Deshalb kann man das Kreuz nicht von Jesu Leben trennen.

Die Protagonisten der Debatte sind gestandene Theologen. Wissen sie nicht, was sie tun?

Berger: Viele meinen nur, sie müßten auf Teufel komm raus „den Glauben“ modernisieren. Sie kennen keine Loyalität den heiligen Texten gegenüber. Oft glauben diese Leute dabei an eine Weltvernunft. Ihr wollen sie den Glauben unterordnen: Das ist einer der Hauptgründe für den drohenden Zusammenbruch des Christentums. Fatalerweise wirkt die Reduzierung des Christentums auf einen Katalog gutmenschlicher Selbstverständlichkeiten – etwa, daß man lieb, tolerant und sozial sein soll – auf viele Menschen zunächst wie eine Befreiung. Erst später zeigt sich, daß dies das Fadeste ist, was man sich vorstellen kann, und langfristig ein jeder den Geschmack an so einer Religion verlieren muß. Sühne heißt Befreiung, die wir uns nicht selbst verschaffen können.

Es gab allerdings auch bereits – durchaus sehr christliche – Epochen, in denen das Kreuz kaum eine Rolle gespielt hat, zum Beispiel die Romanik.

Berger: „Die Künstler sind an allem schuld“, pflegte mein Doktorvater zu sagen. In der Tat trat der Realismus der Kreuzigung in der Romanik in den Hintergrund, weil damals ein leidender Gott nicht vorstellbar war. Dennoch hat die Romanik das Kreuz nicht geleugnet, sondern als Symbol der Souveränität interpretiert. Es gibt herrliche romanische Darstellungen, die eine Gelöstheit und Souveränität des Königs am Kreuz ausdrücken, die für mich sehr tröstlich ist. Die Botschaft des Kreuzes war damals: „Ich habe Euch befreit!“ Das ist doch wunderbar.

Argumentiert wird: „Gott ist die Liebe und hat deshalb ein Sühneopfer nicht nötig.“ Klingt einleuchtend.

Berger: Natürlich „braucht“ Gott kein Opfer, aber darum geht es nicht. Falsch ist die Grundvoraussetzung: „Gott ist die Liebe.“ Wenn Gott nur noch die reine Liebe ist, dann kann man die Welt nicht mehr in Zusammenhang mit ihm bringen und das eigene menschliche Wesen schon gar nicht. Ihn auf eine pauschale Formel zu reduzieren, führt zu der Vorstellung, daß Sühne nicht mehr nötig ist: Man kann machen, was man will, Gottes Liebe ist so groß, daß er sowieso alles vergibt. Gebote, Reue, Verantwortung braucht man dann nicht mehr. Das enthemmte Individuum hat freie Bahn. Gott ist dann wie eine Summe von Sofakissen.

„Gott ist die Liebe ...“, heißt es allerdings im ersten Johannesbrief 4,16.

Berger: „ ... und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ Leider wird diese Umschreibung eines Wesenszuges Gottes zur Reduzierung Gottes auf ein Motto benutzt, in das der Mensch alles hineinpacken kann, was er gerne hätte. Das Ergebnis ist ein Softy-Christentum. „Frohbotschaft statt Drohbotschaft“, ist die Devise. Doch die Leugnung des Opfers hängt mit der Leugnung der Gerichtsvorstellung zusammen, die diesen Leuten natürlich auch nicht paßt. So wird Gott zu einer Art Gully, der jede Soße schluckt. Es ist dann nicht mehr er, der im Mittelpunkt steht, sondern der Mensch. Gott ist nur noch dazu da, ihn von seinen Kümmernissen zu entlasten.

Das Kreuz, dieses Symbol für einen grausamen Tod in der christlichen Religion, stört viele schon lange, wie der jahrelange Streit um das Kruzifix zeigt.

Berger: Es stört, weil es daran erinnert, wie die Natur des Menschen ist, nämlich auch gewalttätig. Das Kreuz stellt dar, was wir Menschen so alles anrichten. Das wollen heute viele nicht mehr wahrhaben. In der Vorstellung der Gutmenschen ist das etwas, das historisch zu überwinden ist. Man will die Gewalt bannen, indem man sie leugnet. Folglich wird der, der an die Gewalt als eine Größe erinnert, mit der man rechnen muß, zum Provokateur. Diese Harmoniesucht ist es, die etwa die Hamburger Bischöfin Jepsen dazu bringt, in Schulen kein Kreuze mehr zeigen zu wollen, sondern statt dessen spielende Kinder. Das ist dann der Gipfel der Naivität und auch der Unwahrhaftigkeit.

Auch wenn wir es uns heute noch kaum vorstellen können: Steht das Kreuz also tatsächlich vor seiner Abschaffung?

Berger: Die Trennlinie verläuft in der Theologie zwischen Fundamentalismus und liberalem Christentum. Man selbst steht ratlos dazwischen, denn Fundamentalismus will man nicht, weil er Unbelehrbarkeit, und liberale Soße will man auch nicht, weil sie Profillosigkeit bedeutet.

Die Debatte tobt derzeit vor allem unter evangelischen Theologen. Gibt es die Diskussion auch auf katholischer Seite?

Berger: Leider gibt es genügend Katholiken, die sich daran beteiligen. Der bekannte katholische Theologe Eugen Biser ist dafür ein Beispiel, er hat sich bereits einschlägig dazu geäußert. Es ist übrigens typisch, daß die Katholiken, die liberal sein möchten, immer versuchen, die Protestanten links zu überholen. De facto gibt es heute eine Ökumene der liberalen Katholiken und Protestanten einerseits und der bibeltreuen Katholiken und Protestanten andererseits. Die Trennlinie verläuft schon lange nicht mehr wirklich zwischen den nominellen Konfessionen. In Deutschland sind die Bibeltreuen bekanntlich schon lange in der Minderheit.

Folglich haben die deutschen Bischöfe den Dialog mit der jüngst vom Papst rehabilitierten Piusbruderschaft auch kurzerhand verboten.

Berger: Dabei wollte der Papst damit nichts weiter als einen innerkirchlichen Dialog zwischen Progressiven und Traditionalisten herstellen. Gefährdet wird das Unterfangen des Papstes nicht, wie oft in der Presse dargestellt, nur durch die Piusbruderschaft, sondern auch durch das Dialogverbot der deutschen Bischöfe.

Der Papst hat sich allerdings die Debatte um Bischof Williamsons Privatmeinung, die er sicher niemals legitimieren wollte, durch sein Taktieren – alles sei ein Verfahrensfehler – aufzwingen lassen. Hat es ihm da nicht deutlich an Mut gefehlt? Hätte er nicht durch ein offensives Verhalten klarmachen müssen, daß er nicht zuläßt, daß die Progressiven durch die Diskussion um Williamson die ihnen verhaßte innerkirchliche Debatte mit den Traditionalisten verhindern?

Berger: Verantwortlich für das Entgleisen der Debatte sind die ungerechtfertigten Unterstellungen gegenüber dem Papst. Dieser hat mit seiner Maßnahme aus meiner Sicht einen Akt der Feindesliebe vollzogen. Denn man vergißt immer, daß viele Piusbrüder den Papst zutiefst hassen, weil er mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil aus ihrer Sicht vieles verraten hat, was ihnen heilig ist. Und ausgerechnet daß der Papst hier die Grenzen überwunden und die Schranken durchbrochen hat, das wurde von den Progressiven in der Kirche zum „demokratiefeindlichen“ Akt umgedichtet. Da fehlen einem schon die Worte.

Sie haben nun angekündigt, sich um das Verbot der deutschen Bischöfe nicht zu kümmern.

Berger: So ist es, ich habe am 14. Mai in Saarbrücken eine Disputation mit dem Dogmatiker der Piusbrüder. Ich will damit deutlich machen, daß es in der Kirche, so wie es dort Linke gibt, natürlich auch Traditionalisten geben darf. Eine innerkirchliche Debatte ist allemal besser als gegenseitige Ausgrenzung.

Was meinen Sie mit Traditionalisten? Sind die Piusbrüder Fundamentalisten?

Berger: Fundamentalist ist, wer meint, in der Kirche dürfe nur seine eigene Meinung gelten. Das gilt für „Rechte“ wie für „Linke“. Deshalb gibt es das Unfehlbarkeitsdogma, das nur für einen gilt und dann auch nur manchmal. Wo kämen wir hin, wenn von 1,3 Milliarden Katholiken jeder sich für unfehlbar halten würde?

Was genau bedeutet eigentlich die Exkommunikation bzw. deren Aufhebung? Welches ist nun der genaue Status der Piusbrüder zur Zeit?

Berger: Exkommunikation hat an sich nichts – wie viele Leute fälschlich annehmen – mit den Verlust des Seelenheils zu tun. Im Gegenteil, eine Exkommunikation wurde sogar schon ausgesprochen, um Seelenheil zu retten, nämlich in der Hoffnung, sie würde bei dem Betreffenden eine Umkehr bewirken, man denke an Paulus im 1. Korintherbrief, Kapitel 5. Exkommunikation bedeutet den Verlust aller Rechte. Wenn nur sie aufgehoben wird, so ist das lediglich ein Gesprächsangebot, die Aufhebung ist nicht schon die Wiedereinsetzung in irgend­eine aktive Funktion. Man darf lediglich zur Beichte gehen. Aufhebung der Exkommunikation ist daher alles andere als eine Rehabilitierung. Und da die Sperre bei den Funktionen damit noch nicht aufgehoben ist, dürfen die Piusbrüder auch nicht Diakone oder Priester weihen. – Es wäre jetzt an der Piusbruderschaft, das Gesprächsangebot des Papstes anzunehmen und auch einen Schritt nach vorne zu tun.

Statt dessen will die Bruderschaft unbeirrt weiter Priester weihen.

Berger: Dann wäre ein neuer, beklagenswerter Tiefpunkt erreicht. Ich kann nur hoffen, daß man auf diese Provokation verzichtet und statt dessen die ausgestreckte Hand des Papstes ergreift.

Wie sollte der Papst andernfalls reagieren?

Berger: Warten wir erst ab, was passiert.

Die Debatte um die Piusbrüder hat auch die Frage nach der Judenmission zum Thema gemacht, die in der neu formulierten Fürbitte der vom Papst unlängst wieder zugelassen Alten Messe berührt wird. Handelt es sich beim Aussparen dieser Frage bisher um ein politisch korrektes Abrücken von der eigenen religiösen Überzeugung der Christen?

Berger: Ich finde, die Judenmission sollte nach dem Vorbild des Paulus vor allem eine Sache der jüdischen Christen sein. Der Umgang der übrigen Christen mit solchen Judenchristen ist allerdings gegenwärtig der eigentliche schwarze Fleck auf unserer Weste! Denn diese sitzen buchstäblich zwischen allen Stühlen und werden daher – im Unterschied zum Beispiel zum Dalai Lama – noch nicht einmal zu Kirchentagen eingeladen, weil man fürchtet, damit die übrigen Juden zu verärgern. Diese Feigheit der Christen in Deutschland gegenüber ihren getauften jüdischen Brüdern und Schwestern ist allerdings ein Skandal.

 

Prof. Dr. Klaus Berger gilt als einer der profiliertesten Theologen und als führender Neutestamentler in Deutschland. Für eine Feuilleton-Debatte sorgte 2005 seine Bekanntgabe, nie aus der katholischen Kirche ausgetreten zu sein. Denn bis 2006 lehrte er, 1940 in Hildesheim geboren, an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg. Berger, dem es immer wieder gelang, neue Forschungsimpulse zu setzen, verfaßte auch zahlreiche Zeitungsbeiträge vor allem für die FAZ und die Tagespost und ist Autor von über drei Dutzend Fach- und populärwissenschaftlichen Büchern, darunter Titel wie „Wer war Jesus wirklich?“ (GTB, 1995), „Wozu ist Jesus am Kreuz gestorben?“ (GTB, 1998) sowie des Bestsellers „Jesus“ (Pattloch, 2004). Zuletzt erschienen: „Die Urchristen“ (Pattloch, 2008)

Foto: Der Krizyu Kalnas („Berg der Kreuze“) in Litauen: „Hat das Kreuz keine Bedeutung, ist auch mit Auferstehung nicht zu rechnen. Es bliebe uns nur noch die Vereinigung mit dem Islam“

 

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